Große Gefühle

■ Über Kontakte und Heiratsmärkte

Kürzlich traf ich einen One- night-Stand in der Hamburger „Wunderbar“ wieder. Unsere Nacht lag so etwa zehn Jahre zurück. Betrunken fragte er mich, warum wir denn damals nicht einfach zusammengeblieben sind. Und neulich klagte eine Freundin: Die Lesbenszene ist total verklemmt! Eiligen Sex gebe es nur in den SM-Läden für Frauen.

Der Unterschied ist offenbar: Die gleichen Homos, die sich ins sexuelle Einerlei von Dampfbädern, Lederbars und Parks stürzen, sehnen sich nach einer festen Bindung. Lesben hingegen leben häufiger in Beziehungen und sind trotzdem neidisch auf die sexuelle Infrastruktur ihrer Homobrüder.

Diese Differenz der homosexuellen Geschlechter zeigt aber auch, daß die These, der Zwang zur Heimlichkeit habe mit der gesellschaftlichen Pönalisierung der Homosexualität zu tun, nicht stimmt. Saunen und Darkrooms für Männer gibt es, weil es einen Markt dafür gibt: Die Nachfrage schafft Angebote. Dunkelräume für Frauen? Nein, „weil“, so eine Freundin, „wir immer gleich auf der Suche nach dem großen Gefühl sind“. Zweifellos ist die Homosubkultur nur ein Ausschnitt des schwulen oder lesbischen Lebens. Es gibt ja noch andere Möglichkeiten, sich kennenzulernen. Bloß welche? Kürzlich riet man mir zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs; die Linie 108 in Hamburg sei der reinste Tunten-Shuttle. Seitdem hat meine Monatskarte eine neue, ja heilige Bedeutung erlangt. Allerdings nimmt stetig die Verehrung für die Hamburger Verkehrsbetriebe ein bißchen ab: Es will einfach nichts passieren!

Leider hängt ja auch alles vom Zufall ab. Geht ein Hetero oder eine Hetera auf eine Party oder in eine Kneipe, gehen sie unbewußt, aber selbstverständlich davon aus, daß das Publikum des anderen Geschlechts als Sexobjekt in Frage kommen könnte – ausgewählt wird schließlich nach Lust und Geschmack. Wir wissen hingegen: Bestenfalls fünf Prozent (ihr Anteil an der Bevölkerung) sind ebenfalls homo – was erklärt, weshalb Schwule und Lesben bei gemischten Fete sich so oft fehl am Platze fühlen: Die Karten für die Nacht werden meist ohne sie gemischt.

Gott sei Dank boomt der Anzeigenmarkt, ob in Stadtmagazinen oder in einschlägigen Szenepostillen. Männer und Frauen finden hier auf der Suche nach ihresgleichen reichlich Auswahl – da kann uns die Zeit gestohlen bleiben. Dort macht man nur der gebildeten Heterokundschaft den Kontakthof – per „Heiratsmarkt“.

Vielleicht gibt es ideale Anbahnungen nur in der Literatur. In einem Krimi klärt die Heldin mit ihrer Traumfrau erst ein Verbrechen auf, um sich danach nach bestandener Prüfung in die Arme zu fallen. Oder hat Hilde Knef recht, wenn sie die große Liebe im 80. Stockwerk verortet, „in dem Haus, das es nicht gibt“?

Mein One-night-Stand und ich waren sicher: „Bei uns war es eben nicht Liebe.“ Alexander Heinz