Haare grün, Zähne rot

■ Oder: Wie machen wir Neue Musik ? Wieder proben Profis mit SchülerInnen das Hörenlernen: „Response“zwei

„Response“der Deutschen Kammerphilharmonie ist eines der interessantesten und sinnvollsten Förderprojekte in Bremen. Das vor Jahren in London (mit dem Orchester London Sinfonietta) begonnene Projekt wird nun zum zweiten Mal in Bremen durchgeführt: In und aus sieben Schulen tönte es in der vergangenen Woche. „Response“'97 wirbt mit außerordentlichen Mitteln bei Kindern und Jugendlichen um das Verständnis für Neue Musik und damit für kreative Prozesse überhaupt. In Schulklassen von der Grundschule bis zur Oberstufe kommen eine Woche lang KomponistInnen und MusikerInnen, um gemeinsam ein ästhetisches Projekt zu erarbeiten, das am 8. Juli mit allen anderen zusammen im Schlachthof öffentlich vorgestellt wird.

„Response“hat Vorlauf: Im Frühjahr verbrachten LehrerInnen und KomponistInnen am Bremen WIS (Wissenschaftliches Institut für Schulpraxis) drei Tage miteinander. „Unglaublich gut für uns, denn wir haben ja kaum Zeit, uns auch bei Interesse um Neue Musik zu kümmern“, so Hannelore Beutelstahl von der Grundschule St. Johann.

Dann waren auch schon die St. Johann-Drittklässler dran und machten mit dem Kontrabassisten Albert Schmidt und dem Frankfurter Komponisten Gerhard Müller-Hornbach einen Ausflug in den Bürgerpark, auf dem alle möglichen Materialien gesammelt wurden: Blätter, Gräser, Tannenzapfen, Baumrinden... Geräuschinstrumente? Die 25 Kinder sind mucksmäuschenstill, als Gerhard Müller-Hornbach im Klassenraum um Ideen bittet, wie diese Teile in Klänge zu bringen sind. Und sie hören sogar mit geschlossenen Augen zu, als ein Blatt durch Pusten zu vibrieren beginnt, eine Feder durch Schlagen knallt, ein Gras durch schnelles Wehen singt. Die Einfälle sind ohne Ende: Man kann reiben, pusten, wedeln... , aber: „Wie wollen wir denn eigentlich Musik machen?“

Mit der Beobachtung „man merkt gar nicht, wie es anfängt“, haben die Kleinen ein Grundprinzip des kompositorischen Handwerks gefunden, das Müller-Hornbach auch sofort aufgreift und behutsam weiterlenkt. Der Komponist Müller Hornbach regt weiter an, die Teile fallen zu lassen: „Probiert mal, wie die Bewegung klingen könnte: „...An welches Instrument erinnert euch das Geräusch?“Da wird gesäuselt, mit den Füßen gescharrt, mit den Fingern an die Zähne geklopft, mit der Zunge geschnalzt und wie ein Schwein gegrunzt. Steine – kleine und große, dicke und dünne, eckige und runde – kommen noch dazu, und im letzten Produktionsgang werden dann die schon gestalteten Geräusche auf wirkliche Schlagzeuginstrumente übertragen.

Anders das Bild in der neunten Klasse der Gesamtschule Mitte: Mühsam müssen die Komponistin Violeta Dinescu, Professorin für Komposition in Oldenburg, der Geiger Jörg Assmann und der Lehrer Alois Leinweber die Stimmung anziehen. Ein nigerianisches Märchen soll umgesetzt werden, „nicht als Vertonung, sondern als roter Faden für verschiedene Atmosphären“, sagt Jörg Assmann. In dem Märchen teilt sich ein Fluß, weil eine Frau sich besonders bunt und besonders schön geschminkt hat, ihre Haare sind grün und die Zähne rot. „Es ist eine magische Kraft“, erklärt Dinescu, „wie könnte das klingen?“

Stimmen sollen es sein. Dann kommt die zündende Idee: „Wir erzeugen einen Klang, den es gar nicht gibt“. Ab da läuft alles, Neuntklässlermüdigkeit und Nullbock sind vergessen, „es macht tierisch Spaß“. Die Stimmen dürfen nicht wie Stimmen klingen, das Klavier soll über Cluster die Teilung des Wassers markieren, E-Baß, Trommeln, Rasseln, Blockflöten, alle suchen nach dem Geheimnis. Aton, der Break Dancer, stellt für die magische Stimmung am Fluß seine Künste zur Verfügung. Till, Johannes und Paul, die noch nie in einem klassischen Konzert waren, sollen mit Trommel, Saxophon und Trompete eine Improvisation versuchen, und mit Dinescus Hilfe können sie ganz schnell Begriffe wie „Crescendo“, „Frage“und „Antwort“, „These“und „Gegenthese“umsetzen.

Der Bremer Komponist Uwe Rasch, der auch mit einer Neunten der Gesamtschule Ost und dem Musiker Martin Krutzig arbeitet, erzeugt Geräusche und Rhythmen mit Sportgeräten. Unter dem Titel „Erschöpfung“versucht er die Begriffe Zeitlupe und Beschleunigung zu definieren, wobei er es als schwierig empfindet, daß der Kurs nie gesamt da ist. Er hatte diese Klasse bereits vor zwei Jahren, „da wußten die schon, daß hier keine Liedchen gesungen werden“.

Die Bratschistin Friederike Latzko ist begeistert, daß sie „das praktische Bindeglied sein kann zwischen den Erklärungen des Komponisten und den Kindern“. Sie arbeitet in Klasse 11 des Kippenberg-Gymnasiums für den Titel „Auf der Suche“: Ein Klangbogen soll entwickelt werden, an dem alle mitspielen. Der Komponist Manfred Trojahn: „Es geht ja nicht darum, daß die Jugendlichen komponieren, sondern daß sie hören lernen.“Genau dafür werden in diesem methodisch innovativen Projekt alle Sinne gefördert und mit Sicherheit für das Verständnis von Kunst mehr erreicht als in anbiedernd moderierten Jugendkonzerten.

Ute Schalz-Laurenze

Abschlußkonzert am 8. Juli um 19.30 Uhr im Schlachthof