Das Lächeln als Zustand

Strahlend, zufrieden, murrend: Die Weitsprungmeisterin Tiedtke-Greene schlägt Braun und Drechsler  ■ Von Peter Unfried

Frankfurt/Main (taz) – Tatsächlich: Schon in der Flugphase geht sie über in die Strahlphase. Und noch in der Landephase beginnt sie mit der Winke-winke-Phase. Das stimmt nicht? Na, objektiv ist es vermutlich nicht ganz korrekt. Aber: Man kann das so sehen. Wenn man hinsieht.

Die Phasen werden übrigens konsequent durchgeführt und ungeachtet dessen, was die Athletin ahnt und ein paar Sekunden später die Weitenmessung ergibt. So ist die Winke-winke-Phase auch nicht sehr viel intensiver, als die Weite im fünften Durchgang jede andere übertrifft: 6,86 m leuchten auf für die neue deutsche Weitsprungmeisterin Susen Tiedtke-Greene, das ist nationale Jahresbestleistung, der Höhepunkt eines sehenswerten Dreikampfes und auch dessen Ende.

Es begann, als Heike Drechsler im zweiten Durchgang mit 6,75 m eine Herausforderung an Tiedtke- Greene losschickte, die die umgehend mit 6,76 m konterte. Da aber sprang Sabine Braun, die Siebenkämpferin. Ein Raunen ging durchs Waldstadion: 6,83 m. Mit unzulässiger Windunterstützung, aber bitte. Später sprang sie korrekte 6,76 m, soweit wie niemals zuvor in ihrem langen Athletinnenleben. „Daß ich dann noch um drei Zentimeter geschlagen werde ...“, sagte Braun später und machte eine Gesicht, daß nach „naja“ aussah.

Es gibt nicht viele Disziplinen in denen der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mehr als eine Spitzenkraft aufzuweisen hat. Mit Trainerin Gertrud Schäfer will Braun jetzt darüber nachdenken, ob sie bei der WM auch den Weitsprung mitnehmen soll. Priorität hat aber der Siebenkampf, für den sie die Favoritinnenrolle akzeptiert. Titelverteidigerin Ghada Shouaa (Syrien) wird, wie es aussieht, nicht in Athen starten. Braun (32) hält seit Ratingen die Weltjahresbestleistung (6.787 Punkte). „Wenn ich das Ergebnis wiederhole, kann ich auch gewinnen“, sagt sie.

Das hat sie schon einmal, 1991 in Tokio. In Göteborg 1995 war sie früh ausgestiegen, wie die Kollegin Drechsler auch, die damals zweimal Gold wollte und am Ende gar nichts hatte. Zwei Jahre geht das auch ihr schon so. Nach Frankfurt hatte sie sich mit Mühe und etwas Grimm geschleppt. Früh in der Saion hatte eine Achillessehnentzündung sie gestoppt, weswegen sie die WM-Norm des DLV nur ein- statt der verlangten zweimal zuwegegebracht hatte.

Sie sei schließlich „nicht irgendwer“, sagt Drechsler, sondern Olympiasiegerin, Weltmeisterin etc. Aber das ist länger her, und nun gehört sie nicht mehr zu jenen Vorzeigeleuten, die dem DLV ihre Bedingungen einfach diktieren können. Auch ihr Trainer Erich Drechsler ist längst keine Nummer mehr. Selbst sie trainiert – zwar nach seinen Plänen, aber ohne ihn – am Wohnort Karlsruhe.

„Jeder weiß“, wiederholt sie mehrmals, „wenn ich gesund bin, bin ich Konkurrenz für die anderen.“ Zuletzt war sie das nicht – eine weitere Lücke tat sich auf, und eine Jüngere hüpfte hinein. Das ist in Frankfurt auch Hochspringerin Astafei passiert, die von Heike Balck geschlagen wurde, und 100-m-Sprinterin Paschke, deren Titelabo Andrea Philipp beendete. Daß auch Drechsler ihre Titelsammlung nicht verlängern konnte? „Wir hatten hier eine andere Zielstellung“, sagte sie – und stieg nach drei Versuchen und geschaffter Norm aus. Sie habe erst in der letzten Woche angefangen zu springen, vorher bloß Krafttraining gemacht. Ihre großen Weiten verdankte sie speziell ihrer Anlaufgeschwindigkeit. Von der will sie bis Athen soviel zurück, wie es mit 32 möglich ist. Das Niveau im Weitsprung ist mit ihrem gesunken. Die Weltjahresbeste Marion Jones (6,93 m) ist neu, sonst kämpfen wie gehabt May, Kravets, Ajunwa um Nähe zur 7-m-Marke. Heike Drechsler redet von Siebenmetersprüngen. Abgerechnet, wiederholt sie formelhaft, „wird bei der WM.“ Mit wem, sagt sie nicht.

Für Susen Tiedtke-Greene (29) war Frankfurt der erste zweitägige Wettkampf seit langer Zeit. Das erste Mal hat sie bei einer DM Drechsler geschlagen. Während die pausierte, ist Tiedtke ununterbrochen gesprungen, seit jenem Märztag an dem ihre zweijährige Dopingsperre wegen Nachweis des guten alten Jenapharm-Produkts Oral-Turinabol abgelaufen war.

Nun macht sie Wettkampfpause. Der Anlauf paßte nicht immer in Frankfurt, daran wird sie die nächsten drei Wochen arbeiten, mit Vater Jürgen Tiedtke in Berlin. Ihre Form, sagt sie, „sei eigentlich besser als je zuvor.“

Es war ein bemerkenswertes Bild, die drei auf dem Podium des Interviewraums zu betrachten. Von links: die Strahlende, die Zufriedene und die leicht Murrende. Braun geht davon, wie immer ernst und unbehelligt. Sie kann nicht auf Kommando lächeln. Drechsler ist auch schnell entlassen. Ihr ist gerade nicht zum Lachen. Ein Pulk schart sich eilig, um Susen Tiedtke- Greene zu fragen, ob ihr Mann eigentlich etwas gegen jene Fotos habe, die sie die Zeitschrift Max hat von sich machen lassen. Dahinter steckt natürlich der Vorwurf, sie trage ihre Haut zu Markte. Sie aber schüttelt bloß den Kopf. Ihr Zopf wackelt lustig.

Vielleicht ist Lächeln beim Sprung Ausdruck ihrer Konzentration. Und das Strahlen und Winken davor und danach schlicht der ihres Bewußtseins. „Ich springe, weil es mir Spaß macht“, sagt sie. Schön. Mag sein, daß sie nie ganz weit hüpfen mag. Sehr weit kommen vielleicht schon.