Der Platz auf der Warteliste

Obwohl jetzt ein Transplantationsgesetz da ist, sind noch viele Fragen ungeklärt  ■ Von Wolfgang Löhr

Mit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes hat der Bundestag vergangene Woche einen vorläufigen Schlußpunkt gesetzt. „Endlich Rechtsklarheit für die Transplantationsmedizin“, freute sich der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar. Mit der Anerkennung des Hirntodes ist den Transplanteuren eine schwere Last vom Herzen genommen worden. Befürchteten doch viele Mediziner, daß sich im Bundestag eine Mehrheit gegen das Hirntod-Konzept entscheiden werde. Sie hätten dann die Organe, laut Gesetzesdefinition, im Sterben liegenden Patienten, also noch Lebenden, entnehmen müssen.

Ob allein die Definitionskraft des Gesetzes die in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit immer stärker werdenden Vorbehalte gegen das Hirntod-Konzept beseitigen kann, bleibt abzuwarten. Abzusehen ist, daß die Transplantationsmedizin weiterhin in der Diskussion bleiben wird, zu viele Frage sind noch offen.

So kommen zunehmend Schwerkranke in die medizintechnisch hochgerüsteten Länder, nur für eine Organtransplantation. Geht es bei der Organzuteilung nur nach rein medizinischen Kriterien, so wie es der Bundestag jetzt festgelegt hat, haben diese Patienten unabhängig von ihrer Herkunft auch ein Anrecht darauf, auf die Warteliste für eine Transplantation gesetzt zu werden. Der Zugang zu den Wartelisten entscheidet über Tod oder Weiterleben. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, denn es ist nicht zu erwarten, daß mit dem Transplantationsgesetz die Spendenbereitschaft sprunghaft zunehmen wird. Organe bleiben ein knappes „Gut“. Wie ist zu verfahren, wenn hierzulande ein verstärkter Organtourismus eintritt? Wer darf oder muß die Entscheidung treffen? In Deutschland ist das Problem noch von untergeordneter Bedeutung. „Aber bereits in Belgien beträgt der Anteil dieser sogenannten non-residents auf der Nierenwarteliste zirka 50 Prozent, auf der Leberwarteliste 80 Prozent“, berichtete vor kurzem Gundolf Gubernatis von der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Sicher ist, daß die Diskussion über die Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin in nächster Zeit zunehmen wird. Bei dem jahrelangen Streit um das Gesetz haben erstmals auch „Außenstehende“ erfahren, daß bisher auch nicht-medizinische Faktoren wie familiärer Status oder Einsichtigkeit des Patienten, Drogenabhängigkeit oder das Alter für einige Ärzte eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Vergabe eines Warteplatzes spielen.

Jetzt hat der Gesetzgeber zwar eindeutig festgelgt, daß nur medizinische Kriterien herangezogen werden dürfen. Aber werden diese sich tatsächlich nur auf gewebsspezifische Merkmale wie zum Beispiel Blutgruppenzugehörigkeit oder Dringlichkeit beschränken?

Welches Gewicht werden die Erfolgsaussichten einer Operation oder die voraussichtlich noch verbleibenden Lebensjahre haben? Entscheidet das Ärzteteam gemeinsam oder allein der Chefarzt? Hat zum Beispiel in Hannover, wo, einem Bericht des Mannheimer Politologen Volker Schmidt zufolge, eine informelle Altergrenze von etwa 60 Jahren bestehen soll, ein 70jähriger Herzpatient überhaupt eine Chance auf ein neues Organ? Am nächsten Transplantationszentrum, in Bad Oeynhausen, gelten dann schon wieder andere Kriterien: Dort werden die Erfolgsaussichten anders gewichtet.