Sieger ohne Siegerlaune

■ Die Demokratische Republik Kongo begeht heute ihren ersten Nationalfeiertag unter Kabila. Sein Regime löst nicht bei allen Jubel aus. Von Dominic Johnson

Sieger ohne Siegerlaune

Rauschende Feiern wird es wohl nicht geben, aber dennoch erlebt Kinshasa heute einen besonderen Tag. Zum erstenmal begeht die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo (Exzaire) den kongolesischen Nationalfeiertag unter der Herrschaft von Laurent-Désiré Kabila, Bezwinger des Diktators Mobutu.

Es ist mit einem eher stillen Feiertag zu rechnen, entsprechend dem Puritanismus von Kabilas „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung des Kongo“ (AFDL). Dazu kommen Sicherheitsbedenken: „Wir haben Angst, daß Kabila so endet wie Lumumba“, meint ein Vertreter der „Kongolesischen Nationalbewegung/Lumumba“ (MNC-L), die sich der AFDL angeschlossen hat. Lumumba, berühmter Befreiungskämpfer und 1960 erster Premierminister des unabhängigen Kongo, wurde 1961 unter Beteiligung Mobutus ermordet.

Sechs Wochen nach Kabilas Machtergreifung ist im neuen Staat eben nur oberflächliche Ruhe eingekehrt. Mobutu ist im marokkanischen Exil, aber in Kinshasa herrscht Eiszeit zwischen der AFDL und Teilen der einstigen politischen Opposition, die sich von der neuen Staatsmacht ausgeschlossen fühlen. Am vergangenen Donnerstag wurde Etienne Tshisekedi, Führer der größten Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt) und Hauptgegner Kabilas, von AFDL-Soldaten kurzzeitig verhaftet. UDPS-Aktivisten setzten daraufhin in Tshisekedis Heimatviertel Limete Autos in Brand. Ein UDPS-Vertreter im Ausland meinte, Kabilas Regierung sei jetzt „schlimmer als Mobutu“.

Zuvor hatte Tshisekedi trotz des geltenden Verbots politischer Betätigung eine Rede vor Studenten gehalten, in der er sagte, er habe mit der AFDL Kontakte aufgenommen und hoffe auf ein baldiges Treffen mit Kabila. Am Abend tauchten Soldaten bei ihm zu Hause auf, um ihn zu einem solchen Treffen mitzunehmen –, Tshisekedi weigerte sich, wurde trotzdem mitgenommen und verlebte zehn Stunden in einem Gewahrsam, das von amtlicher Seite als Gespräch mit Kabila beschrieben wurde. Justine Kasavubu, die Tochter des ersten kongolesischen Staatschefs und UDPS-Ministerin in Kabilas Kabinett, sagte, Kabila habe Tshisekedis Verhaftung nicht angeordnet: „Das ist ein unglücklicher Vorfall, den man verurteilen muß.“

Oppositionelle sprechen vom Griff zu den Waffen

Tshisekedi hatte nach Mobutus Sturz vergeblich auf den Posten des Premierministers unter Kabila gehofft. Diesen Posten gibt es aber jetzt überhaupt nicht mehr. Im Amtssitz des Premierministers hat nun AFDL-Generalsekretär Déogratias Bughera seine Zelte aufgeschlagen. Der enttäuschte Tshisekedi erkennt die neue Regierung nicht an und hält diejenigen Parteimitglieder, die in Kabilas Kabinett eingetreten sind, für Verräter. Am 23. Mai – keine Woche nach dem Sturz Mobutus – rief er bereits zum „Widerstand“ gegen Kabila auf.

Francis Olenghankoy, Führer einer anderen wichtigen Oppositionsgruppe, warnte unlängst sogar, entweder Kabila nehme seine Gegner innerhalb eines Jahres in die Regierung auf, oder man werde zu den Waffen greifen. Bisher plant Kabila, daß eine Kommission, deren Bildung er heute bekanntgeben soll, bis März 1998 einen Entwurf für eine neue Verfassung erarbeitet. Im Juni 1998 folgen Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung, die den endgültigen Verfassungsentwurf im Dezember 1998 dem Volk zur Abstimmung vorstellt. Im April 1999 finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, für die Kabila bereits gegenüber den USA die Wiedereinführung des Mehrparteiensystems versprochen hat.

Seit Ende Mai organisiert das neu gegründete Oppositionsbündnis „Forces du Futur“ (Kräfte der Zukunft) regelmäßig Studentendemonstrationen in Kinshasa gegen diese Pläne, die allerdings selten mehr als einige hundert Menschen zusammenbringen. Am 12. Juni wurde bei einer solchen Demonstration ein Student erschossen: Er versuchte, einem Soldat das Gewehr wegzureißen und versteckte sich dann hinter einem Baum. Der Soldat folgte ihm und eröffnete das Feuer. „Forces du Futur“ nannte das „militaristische Barbarei, die das totalitäre Abdriften der neuen Macht belegt“.

Eher ist es Zeichen einer andauernden Entfremdung zwischen den Veteranen des Guerillakriegs und den Veteranen des politischen Widerstands. Beide halten ihre Methode des Kampfs gegen Mobutu für den einzig richtigen Weg zur Demokratie. AFDL-Aktivisten verweisen im Gespräch immer wieder darauf, daß sie schließlich Mobutu besiegt hätten, während die politische Opposition scheiterte. Die wiederum warnt angesichts der weitreichenden Vollmachten, die Kabila sich selbst gegeben hat, vor der Gefahr einer neuen Diktatur. Die Oppositionszeitung Le Soft lästert dazu über die „Bauernsoldaten“ der AFDL, die Computer für Fernsehgeräte halten und aus Unbeholfenheit teure Autos zu Schrott fahren würden, und La Relève, die Zeitung von „Forces du Futur“, zieht in teils rassistischer Manier über die Tutsi in der AFDL her.

In dieser Polarisierung verdächtigt jede Seite die Vertreter der alten mobutistischen Staatsmacht, die Gegenseite zu infiltrieren. So behauptet Le Soft, daß die AFDL- Soldaten, die ihre Büros mittlerweile viermal leergeräumt haben, von einem übergelaufenen Oberst der Mobutu-Armee angeführt worden seien. Doch Kinkiey Mulumba, Herausgeber der Zeitung, war in Mobutus letzter Regierung Informationsminister. Als Kabila vor einer Woche reihenweise Amtsträger der Mobutu-Zeit verhaften ließ – darunter Schlüsselfiguren der Korruption, zum Beispiel die Chefs von Zentralbank, Zollbehörde und staatlicher Fluglinie – erklärte er zur Begründung, sie hätten versucht, „Wendehals“ zu spielen: „Alle schreiben lange Berichte, um sich von Mobutu zu distanzieren.“ Nun sollen sie sich vor Gericht verantworten.

Die Verhafteten gelten als mitverantwortlich für die 14 Milliarden Dollar Auslandsschulden, die Kabila von Mobutu geerbt hat und über die er letzte Woche zum erstenmal mit einer Delegation der Weltbank verhandelt hat. Die Weltbank schätzt, daß Mobutu zwei Drittel der zairischen Auslandskredite in die eigene Tasche gesteckt hat. Kabila würde diese zwei Drittel gern nicht zurückzahlen müssen. Im September sollen nun formelle Gespräche mit den Geldgebern beginnen.

Die Staatskassen sind immer noch leer

Das Schuldenproblem ist eine schwere Last für die junge Regierung. An großen Wiederaufbauversprechungen mangelt es nicht: Eine Währungsreform ist geplant, 5.500 Kilometer geteerte Fernstraßen und eine Ölpipeline quer durch das Land sollen entstehen, das Eisenbahnnetz soll wiederhergestellt werden. Aber wo soll das Geld herkommen? Internationale Investoren machen sich rar. Nur eine Handvoll kleinerer Bergbaufirmen, vor allem aus den USA, hat bisher bindende Verträge mit der neuen Regierung unterschrieben. Die leeren Kassen sind spürbar: Als am vergangenen Mittwoch die 600.000 Staatsbeamten zum erstenmal in diesem Jahr wieder ein Gehalt erhielten, bekam jeder gerade umgerechnet 20 Dollar.

Zwar sind die Willkür und die Korruption der Mobutu-Herrschaft unter Kabila verschwunden. Aber es wird noch lange dauern, bis das neue Kongo entsteht, das Kabila jüngst im ostkongolesischen Bukavu einer erstaunten Menge versprach: fließendes heißes Wasser in den Hütten, mechanisierte Pflüge, Fernsehen und Strom bis ins hinterste Dorf. Und wenn der politische Streit in Kinshasa weiter eskaliert, bleiben Frieden und Wohlstand in Exzaire wohl ferne Zukunftsmusik.