„Schulen werden sich ihre Schüler aussuchen“

■ Carlos Ladrón de Guevarra ist Vorsitzender des spanischen Elternverbandes (CEAPA)

taz: Ihr Verband macht seit Monaten zusammen mit den Lehrergewerkschaften gegen die Schulpolitik der Regierung mobil...

Carlos Ladrón de Guevarra: Die Konservativen versuchen marktwirtschaftliche Maßstäbe anzulegen. Die Kulturministerin Esperanza Aguirre hat dazu einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, Schulen mit großer Nachfrage stärker zu fördern und Zentren mit geringer Nachfrage zu vernachlässigen oder gar zu schließen. Das heißt, die Schulen werden fortan nur noch nach dem Ergebnis, dem Output an Schülern, gemessen. Dabei werden soziale Kriterien vollständig außer acht gelassen.

Wie haben wir uns eine solche marktwirtschaftlich orientierte Schule vorzustellen?

Die Zentren werden Werbung für sich machen und sich ihre Schüler aussuchen. Wer in einer Schule mit hoher Nachfrage sitzenbleibt, der muß mit einem Rausschmiß rechnen, damit er das Niveau und damit die Zuschüsse nicht gefährdet. Das alles gibt es heute in den privaten Schulen bereits, jetzt soll es auf die staatlichen Schulen übertragen werden. Was wird dann aus der ärmeren Bevölkerung? Was wird aus sogenannten Problemkindern? Was wird aus den Schulen auf dem Lande, die schon aus Kindermangel nicht so rentabel arbeiten können? Wir können doch nicht zulassen, daß Schüler zurückgegeben werden, als handle es sich um eine mit Macken gelieferte Waschmaschine. Die Schulen sind nicht nur zum lernen da, sondern sind auch ein Ort der Sozialisation. Wie soll das Ergebnis einer Schule in einem Oberklassenviertel mit der in einem marginalen Stadtteil verglichen werden?

Verlangt die Bevölkerung aber nicht gerade ein solches Modell? Viele Familien, darunter auch fortschrittliche Eltern, schicken ihre Kinder auf private Schulen.

Das Problem der staatlichen Schulen – und das ist gleichzeitig ihre Stärke – ist die interne Demokratie. Ihre Mängel sind ständig in der öffentlichen Debatte, die staatliche Schule ist ständiger Kritik ausgesetzt. Dazu gibt es Lehrer-, Schüler- und Elternmitverwaltung. Den privaten Zentren sind solche Einrichtungen fremd. Das private Schulwesen ist geschlossen, elitär, undemokratisch, ohne Mitbestimmung. Die Folge: Die privaten Schulen stehen vermeintlich besser da, weil niemand ihre Mängel öffentlich macht.

Liegt es nicht auch daran, daß die staatlichen Schulen schlechtere Ausbildungsbedingungen bieten als die privaten?

Ganz im Gegenteil. Die staatlichen Schulen in Spanien bieten Qualität. Vor allem in der Oberstufe sind sie besser ausgerüstet als die private Konkurrenz: bessere Labore, Sporthallen, Bibliotheken usw. Aber die staatliche Schule muß natürlich auch mit den gesellschaftlichen Problemen leben, die in den privaten Zentren ganz einfach vor der Tür bleiben: die Gewalt unter Jugendlichen, der Umgang mit Immigranten und ethnischen Minderheiten. Vielen Eltern gefällt das nicht, sie bevorzugen eine traditionellere Erziehung, wie sie vor allem kirchliche Einrichtungen bieten. Sie glauben, daß ihre Kinder dort besser auf den Wettbewerb im Berufsleben vorbereitet werden. Das kann sein. Aber die Aufgabe der Schule ist nicht nur die Ausbildung im engsten Sinne, sondern die Erziehung zum umfassend gebildeten Staatsbürger. Wer die staatliche Schule besucht hat, hat eine wesentlich offenere, tolerantere Vision von dem, was die spanische Gesellschaft ist. Interview: Reiner Wandler