Freispruch für Link zu den Linken

■ Amtsgericht Berlin spricht Angela Marquardt (PDS) vom Vorwurf frei, im Internet Straftaten gebilligt zu haben

Berlin (taz) – Der Wissensstand war von gestern. Die Technik von vorgestern. Mit Folien und angestaubtem Overheadprojektor wurden die Staatsanwälte des Berliner Amtsgerichts gestern darüber aufgeklärt, was ein Link im Internet ist. Einen solchen elektronischen Querverweis hatte die frühere PDS-Vorsitzende Angela Marquardt auf ihrer Homepage, einer eigenen Internetseite, angelegt. Ihr Computerpfad führte zur Zeitung radikal, die im Juni 1996 erklärte, wie man Bahnstrecken bei Atommülltransporten lahmlegt. Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die Angeklagte habe „billigend in Kauf genommen, daß zu schweren Straftaten aufgerufen wird“, folgte die Richterin nicht. Sie sprach die PDS-Politikerin auf Kosten der Landeskasse frei.

Was erlaubt ist und was nicht im Internet, bleibt ungeklärt. „Ich vertrete prinzipiell die Ansicht, daß ich strafrechtlich für den Inhalt meiner Homepage hafte, nicht aber für den Inhalt von Hompages, auf die ich verweise“, sagte Marquardt. Der Studentin sei es um das radikal-Verbot und um Pressefreiheit gegangen. Als sie ihren Link anlegte, habe sie nichts gewußt vom „Kleinen Leitfaden zur Behinderung von Warentransporten aller Art“, in dem radikal Bastelanleitungen für Wurfanker und durchgezwickte Signalkabel lieferte. Auch Richterin Meline Schröer ging im Urteil davon aus, daß die radikal-Artikel „erst später ins Netz eingespeist“ wurden. Die „bloße Weiterexistenz“ der Links sei keine Straftat.

Nahegelegt hatte das auch die Zeugenaussage von Andy Müller- Maguhn. Der Experte vom Hamburger Chaos Computer Club, der in schwarzem Seidenjackett und roten Turnschuhen erschien, belehrte das Gericht, daß der Weg zu radikal „kein Geheimwissen“ erfordere. Schneller als über den Verweis auf der Homepage sei die zensierte Postille der Linksradikalen per Suchmaschine zu finden. „Sofern ich weiß, daß es so was gibt“, wandte Staatsanwalt Jürgen Heinke ein. Und erntete Lachsalven von den hinteren Bänken.

Ein Buch mit sieben Siegeln war das Internet auch dem Zeugen Albert Schäfer. „Vom Bildschirm abgeschrieben“ hat der BKA-Mann, was findige Kollegen ihm aus dem Datendschungel zauberten. Nur zu einem „Intro“ von radikal führte ihn Marquardts Verweis, die Tips für die Gleise konnte der Kriminalist nicht einsehen. Die fanden sich erst in Focus und Spiegel. Die Magazine berichteten ausführlich über Marquardts Links zu den Linken – unter vollständiger Angabe der umstrittenen Internetadressen.

„Niemand würde auf die Idee kommen, den Spiegel verantwortlich zu machen für die radikal- Hompage“, sagte Marquardts Anwalt Volker Ratzmann. Er verwies auf die völlig ungeklärte Rechtslage in Sachen Internet.

Wie einerseits die Pressefreiheit gewahrt und andererseits Rechtsradikalen und Päderasten der Zugang zum Internet verwehrt werden kann, beschäftigt demnächst auch den Bundestag. Ein Multimedia-Gesetz soll den Verkehr auf dem Datenhighway regeln – zumindest auf dem Papier. Constanze v. Bullion