„Die Leute verstehen den Protest“

■ Der Hongkonger Politologe Sonny Lo Shiu-hing über die Proteste bei der Rückgabe und die Zukunft der Demokratischen Partei

taz: US-Außenministerin Madeleine Albright und Großbritanniens Premier Tony Blair boykottieren die Vereidigung des umstrittenen Provisorischen Legislativrates. Wie sieht das die Bevölkerung?

Sonny Lo Shiu-hing: Die Mehrheit der Bevölkerung interessiert sich nicht dafür, ob amerikanische oder britische Minister oder andere Premiers an der Vereidigung in Hongkong teilnehmen. Als widersprüchlich wird empfunden, daß sich trotz des Boykotts Diplomaten beider Länder daran beteiligen. Den meisten ist das aber wirklich egal.

Die Demokratische Partei wird bereits eine Stunde nach der Rückgabe Hongkongs an China vor dem Parlamentsgebäude demonstrieren. Sind Ort und Zeit angemessen?

Die Demokraten wollen damit ihre Position unterstreichen, daß sie den Provisorischen Legislativrat als Übergangsparlament für „illegal“ halten und daß sie nach den Wahlen 1998 ins Parlament zurückkehren wollen.

Wird die Bevölkerung das auch so verstehen?

Ja, sofern die Demokraten bei ihrem Protest nicht zu radikal sind und es weder in der Nacht noch am Dienstag zu Konfrontationen mit der Polizei kommt. Solange sich die Demokraten auf Reden und Sit-ins beschränken, wird die Mehrheit der Leute ihren Protest verstehen. Sollten sie zu radikaleren Formen greifen, könnte das negative Konsequenzen haben.

Wird sich die chinesische Führung durch den Protest so unmittelbar nach der Rückgabe provoziert fühlen?

Egal ob die Demokraten sich radikal oder moderat verhalten, sie werden von der chinesische Führung ohnehin als Unruhestifter angesehen. Wie immer sich die Demokraten verhalten werden, die chinesische Führung wird darüber nicht sehr glücklich sein. Für die Demokraten ist das nicht relevant, weil sie ihre Position klarmachen wollen.

Werden die Demokraten in den Legislativrat zurückkehren?

Die Demokraten werden auf jeden Fall wieder ins Parlament gewählt werden, weil sie nach wie vor bei der Bevölkerung beliebt sind. Bei Direktwahlen würden sie immer noch die meisten Stimmen bekommen. In Zukunft werden sie aber weniger Sitze im Parlament haben.

Mit welchen Behinderungen müssen die Demokraten künftig rechnen?

Hongkongs neue Verfassung sagt, wer einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen will, muß dafür die Rückendeckung des Regierungschefs haben. Außerdem werden lokalpolitische Institutionen um ernannte Mitglieder ergänzt, die auf den unteren Ebenen den Einfluß der Demokraten minimieren. Es gibt also institutionelle Behinderungen. Die Demokraten sind gezwungen, ihren Protest auf die Straße zu tragen. Dabei gibt es die Gefahr, daß es zu Konfrontationen mit der Polizei kommt.

Wie groß ist die Gefahr, daß die Demokraten nach einer Rückkehr ins Parlament als demokratisches Feigenblatt mißbraucht werden, um das System zu legitimieren?

Hongkongs politisches System ist in den letzten Jahren komplexer geworden, und die Demokraten haben Verhandlungsmacht. Sie werden allerdings auch Konzessionen machen müssen. Angesichts des pluralistischen Systems in Hongkong wird es nicht auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen, wie manche ausländische Medien behaupten. Die Demokraten werden weiter eine Chance haben, die Politik der Regierung zu beeinflussen. Ihr Einfluß auf das System wird gering sein, aber bei sozialen und wirtschaftlichen Themen dürfte es kein Problem sein. Interview: Sven Hansen