„Seine Schreibmaschine benutzte er zum Schießen“

■ Otto Köhler las über Journalisten im Faschismus und danach / Im Mittelpunkt: Paul Karl Schmidt alias Paul Carrell / Interesse: gering

Als alles zu Ende war, sah man Otto Köhler quer über die Bahngleise rüber zum Hauptbahnhof laufen. Ein schmächtiger Mann mit wirbelnden schwarzen Beinen und wehendem weißen Haar. Fünfzehn Leute am Portal des DGB-Hauses schauten ihm nach und man mochte den Eindruck bekommen, hier fliehe einer.

Unter dem Dach des DGB hatte Otto Köhler, freier Journalist aus Hamburg, auf Einladung der IG-Medien und im Beiprogramm der Wehrmachtsausstellung ein Kapitel aus seinen „Unheimlichen Publizisten“vorgelesen: Über „die verdrängte Vergangenheit des Medienmachers“Paul Karl Schmidt, alias Paul Carrell.

Paul Karl Schmidt: NSDAP-Mitglied seit 1931, erst bei der SA, bald schon SS-Obersturmbannführer. 1938 wird er Intimus von Außenminister Ribbentropp in der Nachrichten und Presseabteilung. „Ein kleiner Hitler“, sagt Otto Köhler: „Die Schreibmaschine benutzte er zum Schießen.“Morddrohungen gegenüber ausländischen Publizisten gehörten zu seinem Repertoire und die Führung eines Auslandspresseklubs; er vertrieb die Kriegsillustrierte „Signale“mit 2,5 Millionen Exemplaren und unterstützte 1944 die Deportation der Budapester Juden. Man solle, schrieb der erfahrene Pressepolitiker, dafür sorgen, daß in der Synagoge Sprengstoff gefunden wird: Dann würde es beim Abtransport der Juden auch „kein Geschrei“in der Auslandspresse geben. Fünfzehn Jahre später arbeitet Paul Karl Schmidt unter dem Pseudonym Paul Carrell als Edelfeder für das Springer-Blatt „Kristall“, Treffpunkt und Sprungbrett für Journalisten mit Nazi-Vergangenheit.

„Bis auf die Knochen blamierte ich mich“, sagt Otto Köhler, „als ich in meiner Naivität noch dachte, ich könnte Axel Springer über Paul Carrell aufklären“. Als roter Faden zieht sich dieser Satz durch sein Buch. Im Netzwerk des Nachkriegsjournalismus wußte man nur zu gut vom braunen Engagement der Kollegen. Im „Kristall“, Bildungsblatt für Lehrergenerationen in den Sechzigern, schrieb Carrell sein „Unternehmen Barbarossa“. Für die Mär von der sauberen Wehrmacht klopfte er hier die Topoi fest: 1. Persönliche Emotionalität bildet den Ursumpf der Geschichte – und 2. Hitler mischte sich leider unqualifiziert in die Sache der Militärs ein.

Otto Köhlers Buch ist polemisch, eine Fundgrube für pointierte Zitate und Einzelinformationen. Resonanz habe er kaum gefunden, sagt er. Emil Dovifat, der die Pressearbeit unter Goebbels als Glücksfall abfeierte, sei der Mentor der bundesrepublikanischen Publizistik geblieben. Elisabeth Noelle-Neumann, die 1943 nur aus Krankheitsgründen nicht persönliche Adjudantin Goebbels werden konnte, habe ihm, Köhler, nach seiner Veröffentlichung über sie ein Buch über ihr Verhältnis zu den USA geschickt.

„Da schreibst du dieses Buch und dann passiert überhaupt nichts. Wie lebt man damit?“– die 15 Bremer ZuhörerInnen duzen den 62jährigen und sind ausdrücklich empört. Köhler lächelt. „Man lebt halt“. Zusehends kargt er mit Worten. Reden tun die anderen: Über Landser-Hefte, Aufarbeitung, die deutsche Serbien-Politik und daß in der Schule alles anders werden muß.

Zum Schluß will Köhler nicht mal mehr seine Bücher verkaufen. Seinen Zug nach Hamburg kriegte er wohl trotzdem nicht. ritz