Langeweile als Antriebskraft

■ Über „da-da-da-daaa“zur Gagakumusik: Auf seinen Umwegen machte der japanische Komponist Toshio Hosakawa in Bremen halt

Wenn wir heute an Japan denken, so verbinden wir damit eins der erfolgreichsten Industrieländer der Welt. Gleichzeitig ist die japanische Kultur tausende von Jahren alt. Trotzdem wollen viele MusikstudentInnen aus Japan von ihrer Kultur kaum etwas wissen. Ihr Zauberwort heißt Europa, und ihr Ziel ist die abendländische Musiktradition. Gleichzeitig machen sich immer mehr KünstlerInnen der jüngeren Generation diesen dramatischen Traditionsverlust klar und setzen sich in ihren Werken konstruktiv mit ihm auseinander. In diesem Spannungsfeld stand das letzte Bremer Podium am Sonntag abend im Radio-Bremen-Sendesaal: Eine aufschlußreiche Begegnung mit dem 1955 in Hiroshima geborenen Komponisten Toshio Hosakawa.

In seiner Biographie machte Toshio Hosawaka einen Riesenumweg. Der Großvater war Ikebanameister, die Mutter Kotospielerin, es gab im Elternhaus jede Menge Zeremonien. Doch den Jungen langweilten sie, das Hören von Beethovens 5. Sinfonie hat ihm „eine andere Welt und neue Dimensionen eröffnet“. „Dieses da-da-da-daaa. Es war unglaublich. Da wollte ich Komponist werden“.

Aber der Kompositionsunterricht in Japan war ihm, wie alles andere dort auch, zu langweilig. In Berlin hörte er dann beim Weltmusikfestival japanische Gagakumusik – das ist die Musik des japanischen Kaiserhofes – , „und die war sehr sehr schön“.

Sein Freiburger Lehrer, der jetzt in Bremen lebende Komponist Klaus Huber, schickte ihn zurück nach Japan, um japanische Musik erst einmal richtig zu lernen.

Und nun sucht er, ein inzwischen erfolgreicher Komponist, die Spuren und Wurzeln seiner Kultur: Zum Beispiel die Bedeutung des Einzeltones. „Es gibt Bläser, die üben mehrere Jahre nur einen Ton, um ein Teil des Universums zu werden“. Zum Beispiel die Bedeutung der Kalligraphie, deren sichtbare Striche immer nur ein Teil einer größeren unsichtbaren Bewegung ist.

Für seine Musik heißt das: „Die hörbaren Teile sind Teile eines unhörbaren Organismus“. Ihm geht es nicht um eine vordergründige Synthese, sondern fest glaubt er daran, daß aus immer stärkerer Vertiefung sowohl der japanischen als auch der europäischen Musik eine neue, seine Musik entstehen kann. „Es gibt noch Möglichkeiten, wenn wir bereit sind, die Wurzeln zu sehen.“Außerdem spielen in seiner Musik die unbewußt aufgenommenen Klänge der Natur eine prägende Rolle. Für die Münchener Musikbiennale schreibt der 42jährige, der heute wieder in Japan lebt, eine Oper: die Vertonung von Shakespeares King Lear.

Tatsächlich besitzt Hosokawas Musik eine ungewöhnliche und eigenständige Kraft, wenn auch nicht in allen Stücken gleichermaßen, wie das hervorragende Konzert mit dem Ensemble Köln unter der Leitung von Robert HP Platz bewies. „Interim“für neun SpielerInnen wirkt wie eine Kette magischer Schönheiten, die halluzinatorischen Klänge von unerschöpflicher Erfindungskraft bewirken keine Prozesse, sondern teilen sich als vibrierende Zustände mit.

„Slow Dance“für sechs SpielerInnen entwickelt archaisch wirkende Konvulsionen. Weniger überzeugend die mit großer Spannung erwarteten Stücke „Bird Fragments“und „Utsurohi“wegen des Instrumentes Sh_ò: Das ist eine 4.000 Jahre alte chinesische Mundorgel, bei der man das Ein- und Ausatmen nicht unterscheiden kann. Das bewirkt eine durchgehend geheimnisvolle Atmosphäre, da man die Herkunft der Klänge nicht genau orten kann. Die Sh_ò-Spielerin Mayumi Miyata beeindruckte eher durch ihr Instrument als durch die doch sehr beliebig meditativen Stücke.

Ansonsten: keine artifiziellen Exotismen, keine Anbiederung an europäische Avantgarde. Die Gefahr dieser Ästhetik liegt darin, daß die Musik Toshio Hosakawas nichts sein will außer sie selbst, das kann sie leicht in die Nähe des Seichten und Illustrativen bringen. Viel Beifall im gut besuchten Sendesaal. Ute Schalz-Laurenze