Die Verlierer weinen bitterlich

Nach dem 62:64 von Kroatiens Basketballern gegen die Jugoslawen zeigt sich, daß das Ereignis doch mehr als ein weiteres EM-Gruppenspiel war  ■ Aus Barcelona Matti Lieske

Erst am Ende der dramatischen Schlußphase wurde deutlich, daß es sich bei dem Match Jugoslawien–Kroatien nicht um eine normale Basketballpartie handelte. Bei welchem Zweitrundenmatch eines großen Turnieres kommt es schon vor, daß die Verlierer bitterlich weinend in die Kabine hasten, ohne dem Gegner auch nur ansatzweise zu gratulieren, daß die Sieger jubelnd auf dem Platz herumspringen, als seien sie Olympiasieger geworden, und daß der Trainer des unterlegenen Teams in der Pressekonferenz sitzt und vor Enttäuschung kaum einen Ton herausbringt. Aleksander Djordjevic, der große Mann beim jugoslawischen 64:62-Sieg, behauptete zwar, daß seine Mannschaft sich „absolut nicht“ in besonderer Weise auf dieses Spiel vorbereitet habe, aber er selbst war der beste Beleg für die spezielle Brisanz der Begegnung. Von seinen sieben Würfen in der ersten Halbzeit landete nur einer im Korb. Sogar zwei Freiwürfe vergab Djordjevic, dessen Name sonst Synonym für Unfehlbarkeit ist. „Keine außergewöhnliche Nervosität“, beharrte der 29jährige Spielmacher vom FC Barcelona, bloß Pech. Nachdem ihm Center Zoran Savic beschwörend über den kahlen Schädel gestrichen hatte, fand Djordjevic schließlich sein magisches Händchen wieder.

Zum erstenmal überhaupt trafen die Nationalmannschaften von Kroatien und Jugoslawien in jenem Sport aufeinander, der in ihren Ländern fast noch mehr bedeutet als Fußball und in dem sie in der Vergangenheit allemal erfolgreicher waren. 1992 in Barcelona, als Kroatien olympisches Silber gewann, durfte Jugoslawien nicht teilnehmen. Bei der EM 1995 in Athen war das Duell der Kriegsgegner durch das Ausscheiden von Kroatien gegen Litauen im Halbfinale geplatzt. Und bei Olympia in Atlanta, wo Jugoslawien Silber holte, verabschiedete sich Kroatien sogar schon früher.

Eklats hatte es dennoch gegeben, angefangen mit dem letzten WM-Gewinn der alten jugoslawischen Mannschaft 1990 in Rom. Damals hatten die Sportler während des Turniers noch Einigkeit und Harmonie demonstriert, doch damit war es vorbei, als Kukoc, Petrovic, Radja nach dem Sieg plötzlich kroatische Fähnchen schwenkten – und der Serbe Vlade Divac vor Wut schäumte. Nach dem EM- Sieg in Athen grüßte das versammelte jugoslawische Team dann fröhlich mit dem berüchtigten Tschetnik-Zeichen, den gespreizten drei Fingern. „Nicht böse und schon gar nicht politisch gemeint“, versuchte Alba Berlins Sasa Obradovic damals zu beschwichtigen. Die Kroaten sahen das anders und eilten aus der Halle, als Jugoslawien geehrt wurde.

In Badalona ließen nur die lautstarken jugoslawischen Zuschauer, vor allem beim Aufmarsch einer kleinen Gruppe von Fans in den Trikots der kroatischen Fußball- Nationalmannschaft, nationalistischen Furor aufblitzen. Auf dem Spielfeld bemühten sich sowohl die Veteranen um Djordjevic und Savic als auch die jungen Nachwuchsleute der Kroaten wie Sesar, Rimac und Mulamoerovic um freundlichen Umgang, plauderten vor Beginn miteinander und vermieden trotz intensiver Abwehrarbeit und vieler Fouls rüde Ausfälle und Provokationen.

Nur hier und da gab es Indizien für den Zündstoff, der in dem Match verborgen war, das Sinisa Kelecevic von Baskets Bonn zuvor offen als „wichtigstes Spiel“ der Kroaten bei dieser EM bezeichnet hatte. Die jugoslawischen Akteure konnten am Tag vorher gar nichts sagen, weil Coach Zeljko Obradovic es ihnen nicht gestattete. „Dies ist die Pressekonferenz des Spieles Jugoslawien–Deutschland“, fuhr er Zoran Savic ins Wort, „ich verbiete meinen Spielern, über die morgige Begegnung zur reden.“ Was die Spieler gesagt hätten, hatte der Halbsatz, den Savic zu Ende bringen konnte, allerdings bereits verraten: „Dies ist kein besonderes Spiel für uns.“

Besonders war auf jeden Fall das Ende. Nach 30 Minuten waren die Jugoslawen erstmals in Führung gegangen, doch Kroatien kam in der letzten Minute wieder heran. 4,2 Sekunden vor Ende – es stand 61:59 für Jugoslawien – foulte Obradovic den Kroaten Slaven Rimac, der mit seinen 22 Punkten ohnehin „viel Schaden anrichtete“ (Djordjevic) beim Dreipunktewurf. Kühl verwandelte der 22jährige alle drei Freiwürfe, und auf der Bank der Kroaten, die sich als sichere Sieger fühlten, begannen ausgelassene Festivitäten.

Da aber bekam Djordjevic den Ball, raste das Feld entlang, warf aus dem Lauf und in leichter Schieflage Richtung Korb – und traf. Mit der Schlußsirene rauschte der Ball durchs Netz: 64:62. Entsetzen bei den Kroaten, Jubel bei den Jugoslawen, die immerhin zeigten, daß sie lernfähig sind.

Nachdem sich der über Djordjevic hereingebrochene Knäuel aufgelöst hatte, reckten die Spieler die geballte Faust und winkten ihren Fans brav zu. Die gespreizten Finger kamen nur ganz kurz und verschämt von Djordjevic und Rebraca. Da hatten die erschütterten Kroaten die Halle allerdings ohnehin längst verlassen.