Kindergeburtstag mit Schlammbaden

Alle Jahre wieder veranstaltet die dänische Gemeinde Roskilde bei Kopenhagen ihr selbstgemachtes Woodstock-Festival mit sozialer Verantwortung und reagiert dabei recht stimmig auf die Bedürfnisse der Neunziger-Jahre-Popfans  ■ Von Gerrit Bartels

Den ersten Eindruck vom diesjährigen Musikfestival im dänischen Roskilde bekommt man am Rostocker Hafen. Dort stehen die Werbekolonnen der Zigarettenmarke Prince Denmark und überfallen die auf die Fähre nach Gedser Wartenden mit ihren Quizfragen, Ferngläsern und Zigaretten. Doch der Eindruck täuscht, auf weitere kostenlose Zigaretten hofft man die nächsten vier Tage vergeblich.

Laut Veranstalter sollen „Charakter und Profil“ des Festivals nicht von Sponsoren beeinflußt werden. Ein liebenswert-unzeitgemäßes Vorhaben, das zumindest äußerlich funktioniert: Das Festivalgelände ist nahezu frei von Werbung, und bis auf die leider viel zu wenigen Carlsberg-Bierstände sehen auch alle Fast-food-, Süßigkeiten-, Klamotten- und sonstigen Merchandising-Buden so aus, als seien sie für einen Kindergeburtstag zusammengenagelt und angestrichen worden.

Roskilde ist ein Festival, das von sozial und verantwortlich denkenden Gutmenschen für junge Leute ausgerichet wird: Da gehen die Einnahmen an karitative Verbände, da werden umständliche Pfandsysteme für Plastikgeschirr eingeführt, da hält der Generalsekretär von amnesty international eine Rede, da gibt es Mülltrennung, billiges Bier und einen Greenpeace-Stand. Das alles ist sehr ehrenwert, genauso wie der Anspruch, „Erlebnisse generieren“ und „Grenzen verschieben“ zu wollen, doch irgendwie verpufft all das unter den wahren Bedürfnissen des skandinavisch-deutschen Publikums: literweise Bier trinken, Tüten rauchen, in Ruhe oder auch im Chaos seinen Spaß haben und so viele Bands wie möglich gucken.

Und das erste große Erlebnis ist dann auch einmal mehr das Wetter: Gibt es am ersten Tag zwar viele, aber unbedeutende Regenschauer, so setzt am Freitag ein Dauerregen ein, der das gesamte Gelände vollständig unter Wasser und Schlamm setzt. Ein „Grüß Gott“ nach Woodstock ließe sich da mal wieder ausrufen, doch wirklich nur wenigen fällt es ein, sich im Schlamm zu suhlen und dem Erfahrungsvorsprung der Elterngeneration nachzueifern. Pragmatismus ist angesagt, Gummistiefel, Regencapes und ein stoisches Warten auf die Sonne (die dann tatsächlich am Samstag kommt).

So ist man beim Stapfen durch den Schlamm auch am meisten mit sich selbst und dem nächsten Bier beschäftigt und hält sich brav an seine Gruppe. Roskilde 97 ist kein großes Come-Together, keine ausgelassene Kennenlernparty, die durch Regen und Schlamm erst so richtig schön wird, schon eher ein survival of the fittest im Waten durch den Morast von Bühne zu Bühne.

Geradezu anachronistisch wirkt da die junge britische Band Kula Shaker, die in einem ihrer Songs „beyond money and reputation“ nach Liebe und Magie sich sehnt. Tocotronic aus Hamburg treffen die Stimmung mit ihren lustig- dummen und Woodstock parodierenden Sprüchen schon besser, und den Go-Betweens, die sich für Roskilde noch einmal wiedervereinigt haben, steht auch nicht recht der Sinn nach alten Zeiten.

Ihr Auftritt wird im wahrsten Sinne des Wortes vom Wind und vom Regen verweht: Nach einer halben Stunde versagt die Technik, es dauert mehrere Minuten, bis Mikros und Gitarrenverstärker wieder funktionieren. Dann spielen Robert Forster und Grand McLennan noch eine Longversion von „Karen“ und verabschieden sich für immer und ewig von ihren paar Getreuen, die sich vor der ansonsten durchweg massig besuchten orangenen Bühne eingefunden haben. Ein irgendwie trauriger Auftritt, und da die von den Veranstaltern ausgemachte Zielgruppe der 23- bis 24jährigen die Go-Betweens wohl nicht mehr kennt, wäre es sicher schlauer gewesen, sie in einem der kleineren Zelte auftreten zu lassen.

Denn obwohl wie jedes Jahr die orangene Bühne Zentrum des Festivals ist, fungiert sie doch zumeist mehr als Durchgangsort: So richtig heimelig und voller Emotionen geht es vor ihr nie zu. Hier nimmt man einfach nur mit, was man bekommen kann. Ein paar Takte Radiohead, ein paar Lieder von den Pet Shop Boys, einen gelungenen Auftritt von Beck. Eigentlich möchte man immer nur weiterziehen, ständig in Bewegung sein und ja nichts von den anderen Bands verpassen.

Was dieses Jahr mehr denn je auffällt: Nur wenige abgehalfterte Altstars bevölkern die sieben Bühnen, und auch wenn ausgerechnet der öde John Fogerty mit seinen Creedence-Clearwater-Hits und Ian Dury mit seinem ausklappbaren Krückstock ihr Publikum finden: Roskilde ist ein Festival, das stimmig auf die neuesten Stile und Tendenzen in der Popmusik reagiert und den unterschiedlichen Bedürfnissen des Popfans der Neunziger Rechnung trägt. So vertreten auch wir uns nach dem Auftritt von Kula Shaker die Beine beim Drum&Bass-Set von LTJ Bukem oder besuchen nach dem überaus anstrengenden und hektischen Set der Elektro-Trasher Daft Punk das grüne Zelt, in welchem Pavement ein klasse Rockkonzert geben. Bei soviel Hin und Her ist man dann in der Nacht zu Sonntag geradezu erleichtert, daß die amerikanischen HipHopper mal wieder aus der Reihe tanzen: Da sich seine zahlreichen Rapper vor dem Abflug in New York gegenseitig die Ohren abbissen, fiel der Auftritt des Wu Tang Clan als einziger Top Act des Festivals kurzerhand aus.