Peter Pans mit Ohringen und Karies

■ Sail Along: Eine zweimonatige Reihe mit Seefahrer- und Piraten-Filmen im Metropolis

Schwitzende Männerleiber in der Takelage. Dumpfe Lieder im Gleichtakt schwerer Arbeitsabläufe und eine viktorianische Schönheit mit maklelloser Moral und tadellosem Namen als Geisel unter Deck. Skorbutbedingte Zahnlosigkeit, Einäugige, hier und da ein Holzbein und Eintöpfe, bei denen Spülreste vom Vortag noch der nahrhafteste Bestandteil sein dürfte. Zum Wegreiten und für Verfolgungsjagden ist kein Platz, für ausgiebige Feindseligkeiten um so mehr. Und so bezieht der Piraten- wie auch Seefahrer-Film, dem das Metropolis nun eine zweimonatige Reihe widmet, nach Art Moby Dicks (18., 23., 27. und 29.7.) oder Meuterei auf der Bounty (12., 13. und 17.7.), sein Spannungsfeld weniger aus Schiffsmanövern oder Südseeromantik, als aus der Mischung aus aufgeheizter Enge an Bord und unübersichtlicher Meeresweite.

Wer unter mannschaftlichem Druck über Bord geht oder zur Strafe festgezurrt auf dem Mastbaum kauert, hatte die Hackordnungen der Männergemeinschaft diffamiert, die Schatzkarte heimlich an sich genommen oder die dünnhäutige Adelsdame mit ausgelassener Kneipenderbheit beleidigt. Denn Rumfahne und dreckigen Fingernägeln zum Trotz, der wahre Pirat, der echte Seefahrer, war nicht nur ein romantischer Barbar, sondern auch ein idealistischer Edelmann mit Sinn fürs Geschäft.

Er kämpft zwischen den Kriegsfronten, lebt prächtig von dem, was Handel und Verbrechen als Konstituenten westlicher Zivilisation abwerfen. Und oft genug blitzt unter der Totenkopfflagge die Fahne einer europäischen Monarchie. Dabei ist er nie so verkommen, daß ihn eine Prinzessin nicht wieder in Glanz und Ehre an den Höfen heimisch machen könnte. Und der Anschein des Sozialrebellen, der gegen Tyrannen und Sklavenhalter mit dem Säbel rasselt, wird letzlich, im Film wie in der Literatur, von einem darunter verankerten, vorbildlich patriotischem Pflichtwerk getragen.

Entsprechend ist Errol Flynn, der als Freibeuter in Captain Blood (25., 30. und 31. 7.) die Rolle seines Lebens spielt, auch eigentlich ein verkleideter Arzt, der sich am Aufstand gegen den korrupten König James beteiligt hat und als strahlender Pirat den Rachefeldzug eines enttäuschten Bürgers erledigt.

Auch er wird die hübsche Tradition, die Douglas Fairbanks in Black Pirate und Burt Lancaster in Der rote Kosar, (dem wohl sinnlichsten und meisterhaft choreographierte Piratenfilm überhaupt) kultivierten, fortführen, und immer dann, wenn die Keilerei an Bord prikär wird, seinen Dolch in das Hauptsegel rammen, um dann mit dem Schnitt von der Takelage aufs Deck sausen.

Alle Verstöße gegen Konvention und Klassengrenzen werden durch seinen am Ende staatlich anerkannten Edelmut entschärft. Und so ist es auch kein Problem, daß der Leinwandpirat schlechthin in Gegen alle Flaggen, seinem letzten „Swashbuckler“-Film, die Fronten wechselt, daß Augenklappe und Kopftuch nur noch als Tarnung funktionieren, um eine Piratennest zu verraten.

Seefahrerfilme bedeuteten immer auch ein Kino unschuldiger Eroberer, der Peter Pans mit Ohrringen, die ausziehen, um ein paradiesisches Niemandsland zu unterwerfen. Und reibt man sich wie Marlon Brando in Meuterei auf der Bounty die eigene an einer fremden Nase, bietet sich schon bald die Gelegenheit für eine brachiale Einführung in die Zivilisation des Zungenkusses.

Selten kam ein Genre so artistisch, sinnlich und körperbetont daher. Und zumindest in Anne of The Indies (5.8.) darf sich die weibliche Filmgeschichte hier einigermaßen gleichberechtigt austoben, bis ein Mann aus den Reihe der britischen Admiralität der Wilden zum Verhängnis wird.

Im Grunde aber hat es der Piratenfilm „nie zu etwas bringen können“, meint Georg Seeßlen in seiner eben im Schüren-Verlag erschienenen Geschichte und Mythologie des Abenteuerfilms: Ideologisch sei er nicht recht befrachtbar, zuviele Schiffsmanöver und überhaupt: „Die See als Freiheitstraum für Kinder, Narren, Abenteurer und Unterdrückte ist nicht mehr“.

Entsprechend schwer ließ sich das Genre in den 60ern wiederbeleben. Und Piraten waren bald nicht mehr als ein altväterlicher Spuk. In Filmen wie The Fog (29., 30. und 31.8) durften sie als moralisches Korrektiv noch einmal die alte Haken-Hand gegen einen verlogenen Küstenort schwingen.

Birgit Glombitza

Metropolis