Geschäftig wippende Brüste

Biomechanisch geölt, wirkt Brechts Militärklamotte „Mann ist Mann“ doppelt didaktisch, als Performance aber macht Thomas Ostermeiers Inszenierung in der Baracke Spaß  ■ Von Petra Kohse

Hochgezogene Schultern, Hände in Abwehrstellung, eingezogener Bauch und die Füße nach innen gedreht – eigentlich stehen die Schauspieler immerzu da, als seien sie gerade geprügelt worden. Andererseits sind sie in dieser geduckten Haltung enorm geschmeidig. Sie knallen ungefährdet auf den Boden, klettern senkrecht eine Wand hoch, federn – oft alle gleichzeitig – von einer Position in die nächste und grimassieren sozusagen stets mit dem ganzen Körper. Man nennt es Biomechanik.

Drei Monate lang wurde die neueste Produktion der Baracke geprobt, die am Montag Premiere hatte. „Mann ist Mann“ von Brecht auf der Grundlage von Wsewolod E. Meyerholds biomechanischer Methode. In den ersten zwei Wochen waren täglich fünf Stunden Körpertraining angesetzt, und auch danach blieben gymnastische Übungen vor den szenischen Proben obligatorisch. Staatstheater goes Fitneßpark. Barakken-Chef Thomas Ostermeier inszenierte, und der Schauspiellehrer Gennadi Bogdanow aus Moskau sorgte für die biomechanische Korrektheit. Theatralität als Formel und Kraftakt, sicher nicht jedermanns Sache.

Tatsächlich besteht das zehnköpfige Ensemble zur Hälfte aus Schauspielstudenten der Ernst- Busch-Schule. Von den bekannten Protagonisten des Deutschen Theaters hat nur Petra Hartung durchgehalten, zwei andere sind vor einigen Wochen noch abgesprungen. So groß aber die Entfernung vom psychologisch motivierten Realismus Langhoffscher Prägung zu dem ist, was Meyerhold die „Taylorisierung des Theaters“ nennt, so kurz ist der Weg von da zu Brecht. Denn zweifellos verhilft die Biomechanik zu einem Theater größter Deutlichkeit, was heißt: zu einem Theater der Verfremdung.

Taylorismus, aufs Theater übertragen

Schon vor der Revolution entwickelte Meyerhold in Petersburg und Moskau die Vorstellung von der dekorationslosen Bühne und vom Schauspieler, der seinen Körper instrumentalisiert. 1906 wähnte er sich mit diesem antirealistischen Konzept noch auf den Spuren der Antike, 1922 begründete er die Körpertechnik vor allem ökonomisch: „Die Taylorisierung des Theaters wird es möglich machen, in einer Stunde so viel zu spielen, wie wir heute in vier Stunden bieten können.“ Was in seiner rationalisierenden Gier ziemlich lustig klingt, damals aber natürlich revolutionär gemeint war.

Meyerholds Idee vom Körper als Instrument lag die mechanistische Vorstellung zugrunde, daß „jeder psychische Zustand durch bestimmte physiologische Prozesse hervorgerufen“ wird (das Sein bestimmt das Bewußtsein!), daß also Körpertraining für Schauspieler gleichbedeutend ist mit der Ausbildung der Ausdrucksfähigkeit. Das biomechanische System geriet entsprechend zu einem expressionistisch anmutenden und sparsam formalisierten Bewegungskanon, der Schauspieler auf Szenenfotos von damals wirken läßt wie eine Chorus Line vorzeitlicher Breakdancer. Es war zweifellos Avantgarde, und als in der Sowjetunion die Doktrin des sozialistischen Realismus durchgedrückt wurde, konnte sich Meyerhold nicht mehr lange halten. 1938 verlor er sein Theater, 1939 wurde er verhaftet, und 1940 starb er im Gefängnis.

Bereits vor zwei Jahren inszenierte Thomas Ostermeier, auf der biomechanischen Methode basierend, „Die Unbekannte“ von Blok, eine vielgerühmte Arbeit, die ich leider nicht gesehen habe. Während sich Bloks surrealer Text durch Biomechanik aber sicher gut strukturieren läßt, ist ähnliches – Text ist nicht Text – mit „Mann ist Mann“ nicht möglich. Denn schließlich ist es Brecht, was heißt: Es ist schon strukturiert, überdeutlich und in allen Intentionen offenliegend.

Es geht um die Formbarkeit des Menschen. Aus einem zaghaften, friedliebenden Packer wird eine Kampfmaschine. Vier britische Soldaten in Indien brechen in eine Pagode ein und klauen Geld. Weil der vierte Haare am Türrahmen verliert und eine verräterisch kahle Stelle hat, lassen ihn die anderen drei zurück und suchen sich einen neuen vierten Mann, um beim Appell keinen Ärger zu haben. Galy Gay, ein notorischer Jasager, aber auch ein Bedenkenträger, kommt ihnen gerade recht. Mit Geld, guten Worten und Gemeinschaftsgefühlen wird er geködert, eine Parabel und Militärklamotte von 1925.

Die Baracke wird diesmal wieder längs bespielt, drei Zuschauerreihen vor dem Bühnenschlauch. Jan Pappelbaum hat vor einer Bretterwand auf einem Bretterboden eine Schiene verlegt. Ganz funktionalistisch kann am Ende, wenn die Armee an die nördliche Grenze zieht, alles demontiert werden, bis nur noch die nackte Schiene daliegt, auf der ein Kanonenwagen mit Besatzung, arrangiert wie auf Géricaults Floß der Medusa, gegen Zivilisten rollt.

Straffe Demontage, live rhythmisiert

Die Demontageszenen, zwischen denen die symbolische Ermordung des Zivilisten Galy Gay stattfindet, gehören zu den besten der Inszenierung. Denn der fiktive Druck, unter dem Brechts Soldaten stehen, übersetzt sich in den realen Druck, unter dem die größtenteils unerfahrenen Schauspieler stehen, wenn sie alle Bretter wohlchoreographiert und innerhalb des straffen Zeitplans abtransportieren und dabei noch vernehmlich singen müssen. Hier kommt die Inszenierung vom Schauspiel bei der Performance an, mit Gitarre, Klavier und Percussion live rhythmisiert (Musik: Jörg Gollasch), und das entspricht der Sportlichkeit des gesamten Projekts noch am besten und macht am meisten Spaß.

Spaß vor allem muß das Kriterium sein bei dieser Klamotte. Zu entdecken und zu erfahren gibt es nichts, also geht es um den Ablauf selbst und damit um das Handwerk. Wie reibungslos die Schauspieler als Rädchen des biomechanischen Getriebes ineinandergreifen. Wie comichaft die Posen sind, wie virtuos die Sprünge. Und wieviel Schweiß fließen kann auf einer deutschen Bühne.

Die Hauptdarsteller sind alle hervorragend. Tilo Werner als Galy Gay ist der Inbegriff zart-verschämten Wankelmuts, und wie geschäftsmäßig Petra Hartung als Kantinenwirtin Begbick ihren gepolsterten Busen wippen läßt, wenn der Sergeant (Falk Rockstroh) sie – „O du Babylon!“ – lüstern angrunzt, ist herrlich. Auch Martin Engler sowie die Studenten Ronald Kukulies und André Szymanski als Soldaten sind akkurat und charmant. Bei den Nebenrollen allerdings hapert und klappert es oft, was die Sache dann sofort zum Erliegen bringt.

Einerseits, andererseits. Eine teilweise schöne Übung in Sachen Formalisierung, eine dann wieder mühsame Verdeutlichung des Deutlichen, in deren Verlauf etwa der Sarg des Galy Gay tatsächlich von Zuschauern weitergereicht werden muß! Alles in allem ist die Inszenierung aber auch auf ihren Irrwegen so sympathisch unmanieriert und mit so viel Begabung unterwegs, daß man selbst eine solche Entgleisung ins Mitmachtheater erstaunlicherweise umstandslos verzeiht.

Wieder am 8./9., 14.–16. Juli, 21 Uhr, DT-Baracke, Schumannstraße 10