■ Triaden-Tamagotchi: Vom Schulhof in die Unterwelt
: Virtueller Alkohol und Schutzgelder

Hongkong (taz) – Schlimmer noch als hierzulande tobt das Tamagotchi-Fieber im Fernen Osten. Zunächst gab es für die Kids nur virtuelle Küken aufzupäppeln. Inzwischen sind Enten, Hunde und Katzen hinzugekommen, Pinguine, Dinosaurier und sogar Babys.

Da auch diese Tierchen nervtötend laut piepen, wenn sie sich vernachlässigt fühlen, wurden sie an einigen Schulen in Hongkong und Süd-Korea bereits wegen Störung des Unterrichts verboten. Für die Kinder ein tragisches Problem: Kümmern sie sich nicht um ihr piependes Liebstes, verendet es auf dem Bildschirm. Der Leiter der Hongkonger Erziehungsbehörde, James Wong, hat deshalb Lehrer und Sozialarbeiter aufgefordert, den emotional überforderten Kindern über den Schock hinwegzuhelfen. Es wird überlegt, Beratungsdienste einzurichten.

In Taiwan wurde vorgeschlagen, einen eigenen Kindergarten für Tamagotchi zu schaffen. Dort sollen die virtuellen Tiere dann programmiert und ruhiggestellt werden, wenn Herrchen und Frauchen in der Schule sind. Aus Singapur wird gemeldet, fünf junge Menschen hätten bereits ihren Job verloren, weil sie sich mehr um die Technotiere kümmerten als um die Arbeit, damit die Tierchen ja nicht schlappmachten. Für den Fall der Fälle wurde inzwischen ein Cyber- Friedhof im Internet angelegt.

Das Tamagotchi-Fieber fordert auch die Wissenschaft heraus. Sozialforscher stellen geschlechtsspezifische Studien an. Denn statt die Tierchen möglichst groß zu pflegen, spielen böse Jungen, wer sie am schnellsten um die Ecke bringen kann. In Hongkong, wo es für alles einen Markt gibt, hat sich auf den Schulhöfen nach Auskunft einer besorgten Mutter bereits ein schwunghafter Handel mit den Tierchen entwickelt.

Die Spielzeugindustrie denkt sich derweil immer neue Varianten aus. Als Schlüsselanhänger gibt es Tamagotchi mittlerweile in allen bunten Farben und Formen. In Hongkong werden sie zu Preisen von 6 Mark bis 800 Mark verkauft und sind schon zu heißbegehrten Sammlerobjekten geworden.

Die Behörden und Moralwächter hätten sicher nichts dagegen, wenn das neueste Tamagotchi- Modell ein virtueller Tellerwäscher wäre, der mit Geld und Aktienkursen gefüttert werden muß, bis er zum milliardenschweren Tycoon wird. Doch statt dessen sorgt ein Comicverlag für Empörung. In Anlehnung an eine erfolgreiche Zeichentrickfigur namens Ho Nam entwarf eine Hongkonger Firma einen Triaden-Tamagotchi. Triaden sind mafiaähnliche chinesische Geheimgesellschaften, deren Business von Schutzgelderpressung über Menschen- und Drogenhandel bis zu illegalem Glückspiel reicht.

Um zu wachsen, muß der Triaden-Tamagotchi kräftig mit virtuellem Alkohol und ebensolchen Zigaretten gefüttert werden. Damit er ein gefürchtetes Mitglied der Unterwelt wird, muß der Heranwachsende sich in Messerstechereien beweisen. Die Pläne des Verlags, der Ende Juli den Markt betreten will, haben zu Rufen nach Zensur geführt. Die Firma überlegt deshalb schon, den Flüssigkristall-Jugendlichen nur Fast food statt Alkohol und Tabak genießen zu lassen. Ein Regierungssprecher hat angekündigt, daß Beamte zu den ersten Käufern gehören werden, um das Gerät zu prüfen. Sollte das Spiel als unanständig eingestuft werden, darf es nur in einer gesonderten Verpackung mit Warnhinweis an Erwachsene verkauft werden. Wird es gar als obszön bewertet, droht ein Verbot.

Eine japanische Firma war da geschickter. Sie hat erfolgreich ein Tamagotchi mit einem Mobiltelefon gekreuzt. Das Ergebnis heißt Tamapitchi. Sven Hansen