Verbieten erlaubt

■ Große Koalition mit Bayern: Morgen berät der Bundesrat das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz

Jürgen Rüttgers, der sich einst als Zukunftsminister ins Amt loben ließ, hat vor dem Bundestag Brücken ins nächste Jahrtausend gebaut. In Worten zumindest. Doch die Hausarbeit, die er dem Parlament am 13. Juni zum letzten Mal ans Herz legte, hält dem verbalen Aufschwung kaum stand. Sie begann vor fast zwei Jahren, als der Christdemokrat ein „Multimediagesetz“ ankündigte, und endete als Zungenbrecher, als „Informations- und Kommunikationsdienstegesetz“, an dessen Haltbarkeit selbst die Bonner Koalition nicht recht glaubt. (www.iid.de)

Morgen befaßt sich der Bundesrat mit dem Paragraphenwerk. Am ersten August soll es in Kraft treten. Widerstand der Länderkammer ist nicht zu erwarten, die Bundesländer haben sich unter bayrischer Federführung ihren eigenen Bremsklotz gegen den freien Datenverkehr gezimmert: den sogenannten Mediendienstestaatsvertrag. Auch er wird am ersten August in Kraft treten, und so kommt doch noch zusammen, was einst zusammengehören sollte, der Datenverkehr zwischen Computern nämlich und das Medium Internet, das damit entsteht.

Juristen werden sich die Köpfe über diesen Unterschied zerbrechen. Es handelt sich um die Anwendung des deutschen Föderalismus auf das globale Internet. Auf der Strecke bleibt die Rechtssicherheit, die Rüttgers versprach. Was das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz erlaubt, können die Länder jederzeit wieder verbieten.

Stramm marktwirtschaftlich formuliert das Bundesgesetz: „Teledienste sind im Rahmen der Gesetze zulassungs- und anmeldefrei.“ Seine wesentlichen Teile betreffen private und wirtschaftliche Interessen. Ein Signaturgesetz soll die Glaubwürdigkeit digitaler Unterschriften sichern, der Bundesdatenschützer „beobachten“, ob die Logfiles nicht in die falschen Hände geraten, mit einem Urheberrechts-Paragraphen nach EU- Vorgabe sind die Datenbankbetreiber bedacht worden.

Kritiker hatten überall einiges auszusetzen. Vor allem der Datenschutz kommt ihnen zu kurz. Immerhin sind Internetprovider nun nicht mehr verpflichtet, Kundendaten Geheimdiensten zugänglich zu machen. Diese Passage wurde gestrichen. Im sogenannten Signaturgesetz (Artikel 3), auf das Rüttgers besonders stolz ist, könnte jedoch schon die nächste Falle stecken. Ein Gesetz, das Kryptographie nur erlaubt, wenn der Schlüssel bei der Polizei hinterlegt wird, wäre nur folgerichtig, und im Innenministerium sind solche Ideen keineswegs vom Tisch.

Die Provider jedoch, die bislang jederzeit mit einem Besuch des Staatsanwalts rechnen mußten, könnten aufatmen, gäbe es nur dieses Gesetz. Es verpflichtet sie zwar, einen Jugendschutzbeauftragten zu benennen, unmittelbar selbst verantwortlich sind sie aber noch für die Dinge, die sie dauerhaft auf ihren Rechnern speichern. Schon der nächste Absatz nimmt freilich die liberale Regelung wieder zurück. Wenn Provider von rechtswidrigen Inhalten Kenntnis haben, können sie verpflichtet werden, den Zugang zu sperren, soweit dies „zumutbar“ und „technisch möglich“ ist.

Weder die Zumutbarkeit noch die technische Möglichkeit ist im Gesetz definiert. Musterprozesse werden die Begriffe klären müssen. Doch selbst das Richterrecht können die Länder aushebeln. Das Bundesgesetz gilt nämlich immer dann nicht, wenn „die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht“. Also im Zweifel nie. Für diese Fälle schreibt der Mediendienstestaatsvertrag eine schier endlose Reihe von Bedingungen vor. Hehre journalistische Grundsätze gehören dazu, aber auch weltfremde Leerformeln. Werbung zum Beispiel müsse „als solche klar erkennbar“ sein und dürfe „keine unterschwelligen Techniken einsetzen“. (www.Bayern.de/Politik/Presse mitteilungen/1996/06-07.html)

Was den Jugendschutz betrifft, schien dem Forschungsminister eine sinngemäße Anwendung geltenden Strafrechts ausreichend. Doch die Länder wollten mehr. In ihrem Staatsvertrag steht nun, daß Beiträge im Internet schon verboten sind, wenn sie „offensichtlich geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden“. In Verbindung mit dem Bundesgesetz gibt der Ländervertrag den Staatsanwaltschaften freie Hand, gegen praktisch jeden Server zu ermitteln, auf dem zufällig mißliebige Dokumente abrufbar sind.

Politischer Protest gegen das Bayernrecht ist so bald nicht zu erwarten. Es wird an der Technik scheitern, denn das Internet selbst macht die ihm zugrunde liegende Unterscheidung zwischen individueller Kommunikation und öffentlicher Meinungsbildung gegenstandslos. Natürlich weiß das auch Rüttgers. Ohne den Kniefall vor den Ländern hätte er sein Gesetz jedoch nicht durchgebracht. So nun verschlug's selbst der SPD die Sprache. Weil auch ihre MinisterpräsidentInnen Gefallen an der föderalen Netzpolizei fanden, enthielt sich die Bundestagsfraktion der Stimme. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de