Die Dritte Welt beim Bundeskanzler

Wie Pater Gregor Böckermann in Bonn dafür demonstrierte, die Schulden der Länder in der Dritten Welt zu streichen, gegen das Bannmeilengesetz verstieß und gestern dafür verurteilt wurde  ■ Aus Bonn Markus Franz

Tatort Bonn, gestern kurz nach 11 Uhr: Drei Männer und eine Frau hängen sich vor den Stufen des Bonner Amtsgerichts Plakate um. „Verschuldung = Versklavung“ steht darauf. Ein Transparent verkündet: „Schulden streichen für die 3. Welt“. Sie wollen nur mal eben für einen Fotografen nachstellen, weshalb einer von ihnen heute vor dem Amtsgericht angeklagt ist. Kurz darauf stürmen fünf Gerichtsdiener heraus. Die Polizei erscheint – mit Blaulicht.

Der Staatsanwaltschaft Bonn zufolge hat sich sieben Monate zuvor folgendes zugetragen: Gregor Böckermann soll „am 13.11. 1996 in der Zeit von 14.45 Uhr bis 14.55 Uhr gemeinschaftlich mit gesondert verfolgten Beschuldigten innerhalb des befriedeten Bannkreises um das Gebäude eines Gesetzgebungsorgans des Bundes an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel teilgenommen und dadurch Vorschriften verletzt haben, die über den Bannkreis erlassen worden sind.“ Weiter führt die Staatsanwaltschaft aus: „Dabei wurde ein Transparent mit der Aufschrift ,Schulden der Dritten Welt streichen‘ hochgehalten sowie eine Trommel geschlagen.“ Dies stellt ein Vergehen dar, „strafbar nach §§ 106, 25 Abs. 2 StGB, § 1 Bannmeilengesetz vom 6.8. 1955 (Bundesgesetzblatt I, 504) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 28.5. 1969 (Bundesgesetzblatt I, 449)“.

Das alles ist richtig, und doch war es so:

Die Weinheimer Hausfrau Rose Kändler, der Emmericher Theologiestudent Benedikt Essink, der Bottroper Dominikaner Volker Gleßner und der Frankfurter Afrikamissionar Gregor Böckermann von der Initiative „Ordensleute für den Frieden“ wollten vor dem Bundeskanzleramt eine Viertelstunde lang friedlich auf die Verschuldung der Dritten Welt aufmerksam machen. Zuvor hatten sie drei Tage lang außerhalb der Bonner Bannmeile gefastet, um den Initiativkreis „Entwicklung braucht Entschuldung“ zu unterstützen. Die Initiative hatte 12.000 Unterschriften gesammelt, um die Bundesregierung aufzufordern, die Schulden für die 30 ärmsten Länder der Welt zu streichen. Dabei handelt es sich um etwa 200 Millionen Mark. Weil das Bundeskanzleramt die Unterschriften nicht annahm, sondern auf das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit verwies, protestierten Böckermann und seine Mitstreiter vor dem Kanzleramt.

Bei der Urteilsverkündung gestern gegen Pater Böckermann sagte der Amtsrichter: „Jedes ist sein eigenes Steckenpferd.“ Der eine wolle seltene Blümchen schützen, der andere gegen die Verschuldung demonstrieren. Wer aber bewußt das Recht breche, und dies habe der Angeklagte getan, habe die Konsequenzen zu tragen.

Auch das ist richtig, und doch ist es so:

Gregor Böckermann ist 1940 auf einem Bauernhof als Sohn streng konservativer Eltern geboren. Die Prinzipien der katholischen Kirche, Keuschheit, Armut und Gehorsam, verkörperte er schon früh. Von den fünf Mark, die ihm seine Eltern für den Schulausflug mitgaben, brachte er 2,50 Mark zurück. Nach dem Abitur studierte er Theologie in Belgien und trat einem Missionsorden bei. Aus „Abenteuerlust“ und um den Dialog mit dem Islam zu fördern, ging er für seinen Orden als Entwicklungshelfer nach Algerien. Dort erlebte er, wie das Land nach der Ölkrise in die Schuldenfalle geriet. Eines Tages rieten ihm seine algerischen Freunde: „Wenn du uns wirklich helfen willst, geh zurück in dein kapitalistisches Deutschland. Tu dort etwas.“ 1986, nach 18 Jahren in Algerien, kehrte Böckermann nach Deutschland zurück.

Er trat den „Ordensleuten für den Frieden“ bei, die nun seit sieben Jahren an jedem ersten Donnerstag im Monat vor dem Hauptgebäude der Deutschen Bank in Frankfurt für die Entschuldung der Dritten Welt demonstrieren. Pater Böckermann hat in dieser Zeit für seine „ehrenwerten Ziele“, wie sich der Staatsanwalt gestern ausdrückte, viel gegeben: Wegen eines Friedensgottesdienstes auf dem Rasen der Frankfurter Airbase während des Golfkrieges saß er zehn Tage hinter Gittern. Von einem Wachmann der Deutschen Bank ließ er sich Anfang 1997 den Arm brechen, als er die Grünanlagen der Bank betreten hatte. Der Deutschen Bank hat er zusammen mit anderen im Luther-Jahr ein Apfelbäumchen in die Rabatten gepflanzt, des Spruches von Luther gedenkend: „Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute mein Apfelbäumchen pflanzen.“

Doch sein Einsatz wird ihm nicht gelohnt. Weil er Wiederholungstäter ist, fällt die Geldstrafe höher aus. Verschärfend, sagt der Richter, komme auch noch die „unerlaubte Demonstration“ vor der Verhandlung hinzu. Pater Böckermann muß 25 Tagessätze zu je 20 Mark bezahlen. Für rasende Autofahrer mag das wenig sein. Doch Pater Böckermann, der zehn Mark pro Messe verdient, zittern bei der Urteilsverkündung die Hände.