Merkel pfeift auf den Entsorgungskonsens

■ Ministerin will Atomgesetz im Alleingang ändern. Für Schröders Ministerium ist das „extrem konsensfeindlich“. Verhandlungen mit SPD praktisch gescheitert

Hannover (taz) – Die Delegationen von Bundesregierung, SPD-Parteizentrale und Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) brauchen sich nicht mehr zum Konsensgespräch zu treffen: Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) kündigte gestern einen Alleingang der Bonner Koalition bei der Novellierung des Atomgesetzes an. Damit sind die Bemühungen um einen Konsens über Atomenergie und Entsorgung wohl gescheitert.

Schon am 16. Juli soll das Bundeskabinett jetzt jenen Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes beraten, den das Bundesumweltministerium bisher lediglich als „Diskussionsbeitrag“ bezeichnet hatte. Die darin vorgesehenen Gesetzesänderungen gehen noch hinaus über die Zugeständnisse, die Gerhard Schröder und SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering in den Konsensrunden machen wollten. Vorgesehen sind die Privatisierung der Atommüllendlagerung und die Verlängerung der aus der DDR ererbten Genehmigung für das Endlager Morsleben um fünf Jahre, das nach bundesdeutschem Recht nie genehmigt worden wäre.

Eingeführt werden soll auch das von der SPD abgelehnte standortunabhängige Prüfverfahren, mit dem das Konzept des neuen Europäischen Druckwasserreaktors getestet werden soll. Der Entwurf enthält zudem eine spezielle Enteignungsklausel für die Endlagerung, die sich direkt gegen die Eigentumsrechte des Gorlebener Salzbesitzers Andreas Graf Bernstorff richtet.

Bei der Präsentation ihres Gesetzentwurfs beteuerte Angela Merkel gestern zwar ihren Willen, über die Entsorgung des Atommülls weiter Konsensgespräche mit der SPD zu führen. Die Vorlage des Entwurfs bedeute keineswegs, daß die Konsensgespräche mit der SPD beendet oder gescheitert seien. Ein Sprecher von Gerhard Schröders Staatskanzlei bezeichnete Merkels Alleingang gestern jedoch als „extrem konsensfeindliche Handlung“. Die niedersächsische Landesregierung prüfe bereits, inwieweit für die von der Bundesumweltministerin geplante Gesetzesänderung die Zustimmung des Bundesrates erforderlich sei. Anders als Angela Merkel halte man in jedem Falle die in das Bergrecht eingreifende Enteignungsklausel für zustimmungspflichtig.

Am 16. Juli soll das Bundeskabinett auch über die Neuregelung der Kohlesubventionen beraten. Damit hält sich die Bundesregierung die Möglichkeit offen, Atomrechtsänderung und Kohlesubventionen in einem Artikelgesetz zu verbinden. Über ein ähnliches Artikelgesetz, das Atom und Kohle verband, war nach einem damals gescheiterten Konsensdurchgang schon 1993 für die Dauerzwischenlagerung von Atommüll der Weg geebnet worden. Jürgen Voges