Pogo und die anderen Punks vom Alex

■ Im Bezirksamt Mitte ist das Ergebnis eines ungewöhnlichen Projektes zu sehen: Eine Fotoausstellung von und mit Punks. Aus den Aufnahmen der Fotografin Ellen Liebsch und den Polaroid-Schnappschüssen der

„Ohrenschmalz, Kragenspeck, Mundgeruch – und Nageldreck

Achselschweiß im Überfluß – Fettfrisur und Käsefuß

Nimm mich jetzt, auch wenn ich stinke,

denn sonst sag ich winke winke und goodbye. (...)

Schreib mir bitte keine Briefe, auch wenn ich miefe wie ein Aal.

Einer frisch verliebten Nase sind

gelegentliche Gase ganz egal.“

Cotton-Eye-Joe klimpert den Punksong auf seiner spruchverzierten Gitarre, die anderen Punks sitzen um ihn herum und grölen mit. Vorbeiflanierende werden höflichst um „'ne Mark“ gebeten. Auf die Auforderung, „Hey, wie wär's mit Klatschen“, reagiert jedoch keiner aus dem unfreiwilligen Publikum im Straßencafé gegenüber. Die Straßenkids warten auf die Fotografin Ellen Liebsch, die ihnen „sooo eine große Flasche Sekt“ versprochen hat.

Bezirksamt Mitte, zwei Stunden zuvor. „Was sich auf der Straße abspielt, ist ein Produkt unserer Gesellschaft“, leitet Elvira Buchwald, die Gleichstellungsbeauftragte die Ausstellungseröffnung von und mit Punks am Alex ein. Die eingeladenen Punks langweilen sich und machen Faxen. „Das muß niemanden aggressiv machen. Jeder kann sich seine eigenen Gedanken dazu machen.“ Ein kahlrasierter Punk mit zwei Restzöpfen packt seinen Freund Pogo am Kragen und brüllt, „Ey ich bin aggressiv“. Ellen Liebsch kann sich kaum das Lachen verbeißen, redet aber beschwichtigend auf die beiden ein. „Eigentlich ist das, was wir hier sehen, etwas Vertrautes“, ergreift Sozialstadtrat Gerhard Keil nach dem kleinen Zwischenfall das Wort. „Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit gehe, sehe ich die jungen Menschen.“ Pogo und sein Freund verabschieden sich in die Gänge hinter der Gesellschaft.

Hier sind sie die Stars. Verwackelte Polaroidkopien vom Alexanderplatz. Punks mit Nasen, -ohren und sonstigen Ringen, Hunde, Hunde und noch mal Hunde. Neun Springerstiefel auf einer Bierkiste, Gruppenfoto Arm in Arm, alle bierselig lächelnd. „Ich war vor dem Mauerfall schon Punk am Alex“, beginnt Pogo seine Geschichte. „Eigentlich bin ich Engländer. Als Vierjähriger bin ich nach Ostberlin gekommen. Jetzt bin ich 24 und seit über zehn Jahren auf der Straße. Wir haben eine Wohnung in der Schönhauser, meine Freundin und ich. Aber die Straße ist mein richtiges Zuhause. Meine Mutter war Alki, und ich bin's auch. Ich hab' mich selber kaputtgemacht. Vor vier Monaten hab' ich 'nen Entzug gemacht. Nach sieben Tagen bin ich wieder raus, hab's nich' mehr ausgehalten. Zu Hause trink' ich immer Weinbrand, vier bis fünf Flaschen am Tag. Früher hab' ich in der Mainzer Straße gewohnt, bis die Bullen geräumt haben. Das da hinten auf dem Foto bin ich mit meiner Exfreundin. Von mir sind die meisten Fotos hier. Ich war schon oft in Zeitschriften, letztes Jahr auch mal im Stern. Wir kriegen Sozi, 570 Mark im Monat. Davon müssen wir die Wohnung, Strom, Gas und das Hundefutter kaufen. Der Rest geht für's Saufen drauf. Wenn nichts mehr da ist, gehen wir zum Schnorren an den Alex. Ich bin gut. So fünfzig Mark am Tag krieg ich zusammen. Mein Hund war jetzt krank, hatte die Katzenseuche, mit Kotzen und Blut in der Pisse. Ich hab' ihn wieder hochgekriegt, hab ihn zu Hause an den Tropf gehängt. Hunde sind die einzigen richtigen Freunde. Die verlassen dich nie.“

Ellen Liebsch, zierlich, blond, im schwarzen, langen Kleid, hat schnell einen Draht zu den Straßenkindern gefunden. „Die haben mich akzeptiert.“ Sie drückte den Punks eine Polaroid in die Hand und heraus kam eine Milieustudie aus eigener Sicht. Das Ganze entstand letzten Sommer und ist Teil des Fotoprojekts „Frust und Freude“ der Fotografin und ihres Kollegen Micha Winkler. Jugendliche verschiedener Zielgruppen sollen die Möglichkeit haben, sich über das Medium Fotografie „in ihrer eigenen, ganz persönlichen Sichtweise“ mitzuteilen. Als Träger für diesen Teil des Projektes konnten sie „Gangway“ gewinnen, einen Verein für Straßensozialarbeit.

An ihrem Stammplatz vor dem Straßencafé warten die Punks immer noch auf die Flasche Sekt, die die Fotografin zur Feier des Tages versprochen hat. „Ellen kommt bestimmt bald. Die ist echt in Ordnung“, sagt Retzel. Sie ist schon seit 14 Jahren auf der Straße. „Ich bin schon eine der Ältesten mit 26.“ Sie lacht und zeigt dabei ihre Zahnlücken. Dann gibt sie die Flasche „Kaltenburger Bowle“ weiter und singt mit.

„Ich bin von zu Hause weggerannt. Eine Wohnung hab' ich nich',

am besten in die nächste Kneipe,

dort besauf' ich mich.“

Elke Eckert

„Frust und Freude“: Bis Mitte August im Bezirksamt Mitte (Berolina-Haus), Alexanderplatz 1