Sind wir wandelnde Organlager?

■ betr.: „Hirntod, Teiltod, Gesamt tod – das ist Unsinn, taz vom 26.6.97

Die Debatte um die gesetzlichen Grundlagen für zukünftige Organtransplantationen ist aus verständlichen Gründen eine emotional sehr aufgeladene Debatte, geht es doch um die existentielle Frage von Leben und Tod. Implizit geht es aber auch bei dieser Entscheidung für den Todeszeitpunkt um die Frage nach einem konsensfähigen gesellschaftlichen Verständnis über den Zusammenhang zwischen Körper und Seele. Ihre Trennung ist in der abendländisch- christlich geprägten Kultur eindeutig, dagegen z. B. im buddhistisch geprägten Kulturkreis wie Japan, in dem von einer Körper-Seele- Einheit ausgegangen wird, ist Organtransplantation kein Thema. Die gefällte Entscheidung ist somit auch eine kulturspezifische, die auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens „hofft“.

Da sich aber mittlerweile hierzulande viele Menschen von dem tradierten Verständnis der Körper-Seele-Trennung verabschieden und hinzukommend sich ein breites Mißtrauen in den medizinisch-technisch orientierten Gesundheitsapparat breitmacht, stellt die gefällte Entscheidung einen tiefen Eingriff in die Integrität und Selbstbestimmung vieler dar.

Auf diesem Hintergrund, bei allem Verständnis für Leid und Ängste der Betroffenen, finde ich die Aussagen und vor allem folgendes Zitat der Vorsitzenden der Selbsthilfegruppe für Lebertransplantierte, Frau Vierneusel: „Und natürlich sind Leute auch nicht zur Spende bereit, weil sie sich nicht mit dem eigenen Tod auseinandersetzen wollen“, diffamierend. [...]

In dem Interview entsteht für mich eher der Eindruck, als bestünde eine regelrecht moralische Bringschuld von Organen. Doch „ein Recht auf Organe gibt es nicht“, wie von einer SPD-Abgeordneten in der aufgeladenen Bundestagsdebatte zu hören war. Im Gegenteil, ich denke, genau diese Haltung hat es u.a. vielen Menschen schwergemacht, zu Lebzeiten eine Willensäußerung zur Organspende zu machen!

Anmerkung an die taz, deren Berichterstattung sich ausschließlich auf den ethischen Aspekt dieser Diskussion beschränkt hat: Einen Aspekt vermisse ich in der fachlichen Diskussion, nämlich die Darstellung der Genese mancher (z. T. iatrogener) Erkrankungen, die z. B. zur Dialyse führen bzw. eine Organtransplantation notwendig machen. So sind nach Schätzungen der Europäischen Gesellschaft für Dialyse und Transplantation bis zu 25 Prozent der notwendigen Dialysen auf Schmerzmittelmißbrauch (sogenannter Mischpräparate) zurückzuführen. [...] Der aggressiven, verharmlosenden und sehr erfolgreichen Werbung für Mischanalgetika schauen die politisch Verantwortlichen emotionslos und untätig zu. Die enormen Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen und die darauf folgenden Kosten für unser Gesundheitssystem sind in der politischen Diskussion so gut wie kein Thema. [...]

Es ist immer wieder bemerkenswert, wie vorbeugende, kostengünstige Ansätze (mit denen allerdings nicht sehr viel Geld verdient werden kann) in unserem Gesundheitssystem fast lautlos verschwinden. Constanze Meyer, Berlin