Das Thema heißt Defense

Spektakuläres ist auch vom heutigen Viertelfinale der Basketball-EM nicht mehr zu erhoffen. Ihr Verlauf gibt Nationalspieler Harnisch recht: Abschaffen!  ■ Aus Barcelona Matti Lieske

„Die Spieler haben versucht, spektakuläre Pässe zu spielen. Das ist nicht das Thema dieser EM.“ Ein wahres Wort, welches Italiens Coach Ettore Messina nach dem knapp gewonnenen Match gegen Deutschland schwer verschnupft aussprach. Spektakel, attraktives Kombinationsspiel, raffinierte Pässe sind in der Tat nicht das Thema der Basketball-Europameisterschaft in Spanien.

Vorrangig sind konsequente Abwehrarbeit, das Verhindern schneller gegnerischer Konter und langsames, geduldiges Aufbauspiel. Man muß schon Aleksander Djordjevic oder Dejan Bodiroga heißen und ein Superstar sein, um das ein oder andere Anspiel hinter dem Rücken oder durch die Beine zu wagen. Selbst die ernten finstere Blicke von ihrem jugoslawischen Trainer Zeljko Obradovic, sogar, wenn der kecke Streich gelingt.

„Defense“ ist das meistgebrauchte Wort bei den Pressekonferenzen der EM. Kein Coach, kein Spieler, der auf dem Podium sitzt, verzichtet auf den Hinweis, daß hier „der Schlüssel“ liege, die Chance, oben mitzuspielen, und daß diese Defense, je nach Spielausgang, gut oder schlecht funktioniert habe. Besonders die über Jahre eingespielten Mannschaften beherrschen die Zonendeckung auf fast perfekte Weise, verhindern Alleingänge sowie Pässe unter den Korb. Wenn dann doch einmal jemand durchwitscht, recken sich ihm gleich mehrere Hände entgegen, um den Dunk oder Korbleger entweder zu blocken oder per Foul zu verhindern. Bei aus ominösen Gründen weltweit sinkender Freiwurfquote ein probates Mittel der Punktvermeidung.

Riesen wie Spaniens Duenas oder Italiens Fucka können unter diesen Umständen praktisch Torwart spielen. Was bleibt, sind Distanzwürfe, häufig aus ungünstiger Situation. Je höher das Niveau, desto mehr neutralisieren sich die Teams, ähnlich wie im Fußball. Das Ergebnis sind niedrige Resultate und gelangweilte Zuschauer. Es sei denn, sie halten es mit Italiens Ricardo Pittis, der den Spieß einfach umdreht und verkündet: „Für mich ist Defense Spektakel.“

Der geringe Unterhaltungswert vieler Partien stellt ein zusätzliches Problem für die Veranstalter dar, die ohnehin Schwierigkeiten haben, ihre ziemlich inflationär alle zwei Jahre stattfindende Europameisterschaft an den Mann und die Frau zu bringen. Kein Dream Team, beliebte Stars wie Kukoc, Divac oder Sabonis fehlen ebenfalls, da ist es kein Wunder, daß die Hallen in Girona und Badalona in den ersten beiden Runden äußerst spärlich gefüllt waren. Dies sogar, wenn die olympischen Silbermedaillengewinner aus Jugoslawien mit dem FC-Barcelona-Crack Djordjevic aufs Parkett liefen.

Einzig die Spanier sorgten für ein bißchen Stimmung im Pabellon Olimpico von Badalona, mehr als 8.000 Fans konnten aber auch sie nicht mobilisieren. Die Vereine gelten hier erheblich mehr als die Nationalmannschaft, ähnlich wie in Griechenland, Italien und neuerdings auch Deutschland. Dort waren beim Supercup in Berlin kaum halb so viele Zuschauer anwesend wie sonst bei Alba. In Spanien kommt hinzu, daß das Nationalteam in den letzten Jahren meist verloren hat – bei Olympia 1992 scheiterte man gar an Angola – und außerdem besonders für die Katalanen lange mit dem Namen Franco verbunden war.

Heute beginnt das Viertelfinale; standesgemäß in Barcelona im Palau Sant Jordi neben dem Olympiastadion. Dafür erhoffen sich die Veranstalter endlich besser gefüllte Ränge, zumal sich Spanien bislang in recht guter Verfassung präsentierte. Mit der Herrlichkeit der bedingt zugkräftigen Gastgeber könnte es aber schnell vorbei sein, denn sie bekommen es mit den starken Russen um Alba Berlins neuen Spielmacher Karassew zu tun. Leichter scheint die Aufgabe der Italiener, die sich in den engeren Favoritenkreis gespielt haben und gegen das junge Team von Litauen antreten müssen.

Ein Spaziergang steht nach allen – oft allerdings unzuverlässigen – Gesetzen des Basketballwesens den ungeschlagenen Griechen gegen die Polen bevor. Auch Jugoslawien, nach wie vor Topfavorit, sollte mit der Türkei keine Probleme bekommen. Die Sieger qualifizieren sich für die WM 1998 in Athen. Zwei weitere Teams kommen hinzu, wenn die gastgebenden Griechen unter den ersten sechs landen.

Spektakuläres Spiel ist aber auch in der Runde der letzten acht dieser EM nicht zu erwarten. Dies könnte man fördern, etwa nach NBA-Vorbild durch eine Spielzeit von 48 Minuten, was mehr Zeit zum Aufholen von Rückständen sowie weniger Taktik mit sich bringen würde, und vor allem durch das Verbot der Raumdeckung zur Förderung von Einzelaktionen. Das ist eine der vornehmsten Aufgaben des europäischen Verbandes, wenn er seine EM in Zukunft attraktiver gestalten will.

Besser wäre es, die unpopuläre Meisterschaft, wie vom deutschen Nationalspieler Henning Harnisch (taz vom 25.Juni) gefordert, einfach abzuschaffen.