: Eine Perle der russischen Raumfahrtindustrie
Während die USA heute die Sonde „Pathfinder“ auf dem Mars landen lassen, entsteht in einer Fabrik bei Moskau die erste Raumstation, die Ost und West gemeinsam auf den Weg bringen – die ab 1998 startende „Alpha“ ■ Aus Moskau Ulrich Heyden
In einem schwarzen Wolga fahren wir durch das fast menschenleere Fabrikgelände. Die Raumstation Alpha ist unser Ziel. Die Fahrt führt über hoppelige Fabrikstraßen vorbei an großen und kleinen Gebäuden, die alle ziemlich alt und renovierungsbedürftig aussehen. Doch vom äußeren Eindruck sollte man sich in Rußland nicht täuschen lassen. Oft arbeiten hinter schäbigen Mauern erfahrene High-Tech-Wissenschaftler.
Daß man mit dieser Vermutung in Chrunitschew nicht falsch liegt, zeigt sich beim Betreten der riesigen hellen Fabrikationshalle – einen halben Kilometer lang und 40 Meter breit. Sie wurde auf einer früheren Landebahn für Flugzeuge gebaut. Gut zwei Fußballfelder hätten in dem Gebäude mühelos Platz. Die Halle ist erfüllt vom Rattern zahlreicher Kompressoren, die die Arbeiter in den Raumfahrtmodulen und Proton-Raketen mit Frischluft versorgen.
„Hier im Zentrum Chrunitschew haben wir genug Aufträge für den Start der Trägerrakete Proton“, sagt der Chef des russischen Alpha-Programms, Sergej Schajewitsch. Ausländische Auftraggeber schießen ihre Telekomsatelliten mit der riesigen Trägerrakete aus Sowjetzeiten in die Erdumlaufbahn. Vergangenes Jahr starteten zwei Satelliten aus westlichen Ländern mit einer Proton-Rakete. Dieses Jahr werden es acht sein.
Dank der relativ guten Auftragslage liegen die Löhne in der Chrunitschew-Fabrik bei umgerechnet vierhundert Mark und damit 30 Prozent über den in der Branche üblichen Löhnen. „Wegen der guten Bezahlung hat in den letzten drei Jahren praktisch niemand gekündigt“, meint Schajewitsch. Und erfahrenes Personal ist eine Voraussetzung für eine Raumstation ohne Fehler.
Vor einer der großen Proton- Raketen, die wie überdimensionale Zigarren in einer Kiste liegen, endlich die beiden zylinderförmigen Module der internationalen Raumstation: Trotz einer Länge von 13 Metern wirken sie in der großen Halle fast ein bißchen verloren. Das Versorgungsmodul glänzt noch in hellem Aluminium. Der Funktions- und Nutzlastblock hingegen hat eine schwarze Außenhaut auf dem man ein Gewirr von hellen Kabeln und Schläuchen sieht. Der Block wurde mit amerikanischem Geld gebaut und ist so gut wie fertig. Generalauftraggeber war die amerikanische Firma Boeing, deren Vertreter die Arbeit in Chrunitschew täglich kontrollierten. Das 23 Tonnen schwere Modul ist das erste Element und das Gehirn der Raumstation. Es wird 1998 ins All befördert und dient als Basis für die später folgenden US-amerikanischen und russischen Segmente. In der Phase des Zusammenbaus soll es die Raumstation mit Elektroenergie versorgen.
Der Nutzlastblock ist ein eigenes Raumfahrzeug mit autonomer Stromversorgung, Wärmeregulierung, Navigations-, Betriebs- und Kommunikationsausrüstung. Es ist zuständig für die Aufnahme und Lagerung von Brennstoff und dient als Lager für Lasten.
Das Versorgungsmodul hingegen entspricht dem Kernstück der angeschlagen um die Erde kreisenden Orbitstation Mir. Dort waren nach dem Auffahrunfall von letzter Woche gestern die Sonnenkollektoren ausgefallen, weil die Motoren, die die Solarflügel zur Sonne ausrichten, abgeschaltet werden mußten. Nun zehren die Kosmonauten von ihren Batterien.
Doch im Vergleich zum elf Jahre alten Vorgängermodell gibt es entscheidende Neuerungen. Programmchef Sergej Schajewitsch: „Bei der internationalen Raumstation sind die Forderungen härter als bei der Raumstation Mir. Wir haben zum Beispiel einen Schutz vor Mikrometeoriten ausgearbeitet.“
Die Module sollen außerdem eine Lebensdauer von 15 Jahren haben. Bei der Mir war das nicht so vorgesehen, es gab kurzlebigere Teile, die man noch nicht einmal auswechseln konnte. Das ist zum Beispiel der ganze Komplex der Wärmeregulierung. Jetzt können die isolierenden Platten auf der Außenhaut von den Kosmonauten gewechselt werden.
Eigentlich sollte zumindest das Basismodul schon im November diesen Jahres mit einer Proton-Rakete in den Weltraum befördert werden. Doch der Start wurde um acht Monate verschoben, weil – so der Chef der russischen Raumfahrtagentur RKA Jurij Koptjew –, die russische Regierung mit ihren Budgetbewilligungen über ein Jahr hinterherhinkte.
Im Zentrum Chrunitschew hat man sich nun entschieden, die siebenmonatige Verzögerung dazu zu nutzen, das Basismodul noch weiter zu verbessern. Es soll um eine Reihe von Kopplungsmöglichkeiten ergänzt werden.
Kritischen Fragen begegnet Schajewitsch zunächst mit einem Lächeln, gefolgt von einem Stöhnen und der Bemerkung, daß das schon viele Journalisten gefragt hätten. Erhebliche Verzögerung im Rahmen des Alpha-Programms habe es auch bei den Amerikanern gegeben.
Aus der Finanzierungskrise haben Regierung und Präsident inzwischen offensichtlich einen Ausweg gefunden. Der Direktor Schajewitsch: „In der Entscheidung des Präsidenten und der Regierung ist die Rede davon, daß die russische Raumfahrtagentur heute Kredite bei Geschäftsbanken aufnehmen kann. Die Regierung übernimmt die Garantie dafür.“
In der großen Fabrikhalle sind die Mechaniker in ihren hellen Overalls gerade damit beschäftigt, an die Außenwand des Versorgungsmoduls ein weißes Gestänge anzuschrauben. Einer der Arbeiter ist Weskach Jakejew. „In der Fabrik arbeite ich schon seit 1972 bei der Montage von Weltraumprojekten“, so der 50 Jahre alte Mechaniker. „Jetzt montieren wir die Geländer für die Arbeit der Kosmonauten im Weltraum. An diesen Geländern werden sie sich mit einem Kabel befestigen und dann die nötigen Arbeiten machen.“ Auf die Frage, wie ihm die Arbeit gefalle, meint er: „Sehr gut. Aber es kommt vor, daß ich, was die finanziellen Fragen angeht, nicht zufrieden bin.“
Die Bemerkung Jakejews ist dem Pressebegleiter schon zu kritisch, die Botschaft: Einem Ausländer gegenüber hält man sich zurück. Wenn man die Menschen auf Moskaus Straßen befragt, erfährt man da schon mehr. Man trifft zwar kaum jemand, der für einen Stopp der Weltraumaktivitäten eintritt. Rußlands Präsenz im Weltraum scheint so selbstverständlich wie die Existenz von Gebrauchsgegenständen. Doch die Alltagssorgen wirken sich dennoch auf die öffentliche Meinung aus.
Der 50 Jahre alte Bauingenieur Alexander Wosnizenski vergleicht: „Wenn man den Staat bis auf die Familie reduziert, dann gibt es das Familienbudget. Dort ist am wichtigsten die Erziehung der Kinder, das Essen und die Kleidung. Und wenn die Leute Geld übrig haben, kaufen sie ein Auto. Das Auto ist für die Familie wie das Weltraumprogramm für das Land. Wir fühlen uns nicht so gut, daß wir uns ein Weltraumprogramm erlauben können.“
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