Die Politik der Nadelstiche

■ Werden Junkies entmündigt? Braucht die Drogenhilfe eine Modernisierung? Bevormundet die Behörde die Träger? Soll Hamburg für das Methadon bezahlen? Der Drogenbeauftragte Horst Bossong (SPD) und der Arzt Peter Zamory (GAL) im taz-Streitgespräch

taz: Unfähig, unkommunikativ, kontraproduktiv – das sind noch die netteren Attribute, die die GAL dem Hamburger Drogenbeauftragten Horst Bossong zuschreibt. Wenn es nach Ihnen ginge, Peter Zamory, müßte er seinen Hut nehmen. Dabei wollen Sie beide akzeptierende Drogenarbeit, Methadonprogramm und Heroinabgabe. Warum die Feindseligkeit?

Peter Zamory: An allen Bereichen der Drogenpolitik brennt es – fehlende Druckräume, Zukunft der Drogenambulanzen und des Me-thadonprogramms –, aber es passiert nichts. Vom Freiraum, bis zum Diakonischen Werk wird über Ihren Mangel an Kommunikationsfähigkeit geklagt, Herr Bossong. Die Beziehungen sind zerrüttet. Und obendrauf kommen noch Ihre polemischen Äußerungen in der Presse über Drogenhelfer, die angeblich die Ziele aus den Augen verlieren. Daran erkennt man, unter welchem politischen Druck Sie stehen.

Horst Bossong: Es stimmt nicht, daß es in der Hamburger Drogenpolitik einen Stillstand gibt. Im Gegenteil. Ich gebe Ihnen allerdings Recht, daß es natürlich einen erheblichen Druck gibt, die Situation am Hauptbahnhof zu verbessern. Wir können das nicht dauerhaft so hinnehmen. Ich bleibe bei meiner These, daß ein kleiner Teil der Einrichtungen das Ziel der Drogenhilfe aus den Augen verloren hat. Der Ausstieg aus dem Elend muß unser Anspruch bleiben, und nicht, das Leben in der Szene zu romantisieren. Das wäre übers Ziel hinausgeschossen.

Zamory: Sie sind übers Ziel hinausgeschossen, indem Sie Trägern unterstellt haben, Sie hätten kein Interesse daran, ihre Klientel in Lohn und Brot zu bringen.

Verwechselt die GAL Politik für Drogenhelfer mit Politik für Drogenabhängige?

Zamory: Diesen Vorwurf lassen wir uns auf keinen Fall machen. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, Abhängige dort abzuholen, wo sie stehen. Darüber hinaus haben wir uns bemüht, die zerstrittenen Seiten – Behörde und Träger – zusammenzubringen.

Bossong: Natürlich spiegelt die GAL die Argumentation gewisser Träger wider, zum Beispiel wenn Sie sagen, Herr Zamory, daß Streetworker am Hauptbahnhof wenig Sinn machen, weil die nicht wissen, wohin sie die Junkies schicken sollen. Ich frage Sie, wo denn dann die 50 Millionen Mark bleiben, die wir jedes Jahr für die Drogenhilfe ausgeben? Wir haben ein sehr ausdifferenziertes Hilfesystem, mit dem wir direkt und über einen Fachrat im ständigen Gespräch sind.

Zamory: Sie führen Gespräche, Gespräche, Gespräche. Aber wo sind die Ergebnisse?

Bossong: Gerade haben Sie mir noch Kommunikationsmangel vorgeworfen, jetzt das Gegenteil?

Zamory: Die Unsicherheit darüber, wie es mit dem Methadonprogramm in Hamburg weitergeht, wird auf den Rücken der Abhängigen und der Ärzte in den Drogenambulanzen ausgetragen.

Bossong: Wer nachdenken kann, weiß, daß erstens Verhandlungen nicht vor laufenden Kameras geführt werden können. Und daß es zweitens völlig abwegig ist, daß wir ab 1. Januar 1998 – wenn der Methadonvertrag mit den Kassen ausläuft – keine Drogenambulanzen und kein Substitutionsprogramm mehr haben werden. Da wird von interessierter Seite Unsicherheit produziert.

Zamory: Die Unsicherheit ist nicht erfunden, sondern existiert. Als Substitutionsarzt habe ich täglich mit Patienten zu tun, die nicht wissen, ob sie über dieses Jahr hinaus Methadon bekommen.

Bossong: Niemand, der erfolgreich, also mit erkennbaren Fortschritten, am Methadonprogramm teilnimmt, wird von den Krankenkassen rausgekickt.

Zamory: Und was ist mit solchen, bei denen „Erfolge“nicht sichtbar sind?

Bossong: Wenn die Substitution nur dazu dient, den Beschaffungsstreß zu verkleinern, ist das keine Aufgabe für die Krankenkassen.

Zamory: Diese Position wird dazu führen, daß die Zahl der Drogentoten in Hamburg wieder zunimmt. Wer soll die „Erfolge“überhaupt kontrollieren? Ich habe selber eine Patientin, Mutter eines kleinen Jungen, die ständig Beikonsum hat. Aber sie lebt noch! Die von Ihnen genannten „Erfolgs“-Kriterien hat sie nicht erfüllt. Doch wenn sie aus der Substitution fällt, wird sie sterben. Deswegen finde ich sehr schlimm, was Sie sagen.

Bossong: Ich habe nicht gesagt, daß Fälle wie diese Frau herausfallen würden. Das Methadon ermöglicht ihr eine Stabilisierung, und das ist als erster Schritt auch ein Erfolg. Deswegen muß aber doch das Ziel, nämlich die Reduzierung und letztlich die Aufgabe des Beikonsums, bestehen bleiben. Wenn ich aber von manchen psychosozialen Betreuungsstellen höre, es reiche, wenn der Beschaffungsstreß kleiner wird, dann muß ich sagen: Das reicht nicht.

Die GAL-Spitzenkandidatin Krista Sager hat vorgeschlagen, daß die Stadt die Kosten für Methadon übernehmen soll. Realistisch?

Zamory: Das Methadonprogramm könnte vom Staat vorfinanziert werden, bis der Konflikt um die Kosten mit den Kassen geklärt ist. Denn Hilfe bei Suchterkrankung ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe.

Bossong: Wir wollen, daß Me-thadon als normales Medikament für Heroinabhängige anerkannt wird. Wenn wir den Krankenkassen jetzt die Kosten abnehmen, wird dieser Konflikt nie geklärt – das wissen Sie. Die Stadt zahlt für begleitende psychosoziale Betreuung und alles andere. Wir setzen sehr viel Geld ein. Aber wir wollen und können unter gar keinen Umständen das Sozialversicherungssystem ersetzen. Wenn wir damit im Methadonbereich anfangen, dann werden die Kassen als nächstes auch nicht mehr für Behandlungen Alkoholkranker und anderer „Risikogruppen“zahlen wollen.

Werden die Junkies vom Drogenhilfesystem entmündigt?

Zamory: Natürlich müssen auch Junkies Grenzen gesetzt werden. Ich habe auch schon welche rausgeschmissen, wenn sie mich bei Urinkontrollen betrügen oder Rezepte klauen. Drogenabhängige sind keine Kinder, die man an die Hand nehmen muß, sondern man muß sie stärken, so daß sie bestimmte Schritte selber tun können. Drogenhelfer, die das nicht tun, werden ihrem therapeutischen Anspruch nicht gerecht.

Bossong: Einige Einrichtungen sagen, Junkies können nicht in normale Schulen, wir müssen einen Lehrer bei uns anstellen; Drogenabhängige können nicht in die Schuldnerberatungen, wir müssen einen Berater bei uns haben. Dieses Reinholen unter die Käseglocke Drogenhilfe läßt die mobilisierbaren Kompetenzen systematisch verkümmern. Man traut den Junkies nichts zu. Und das läuft auf eine Entmündigung hinaus.

Wie soll die Überprüfung in der Drogenhilfe aussehen? Der Sprecher der Heroin-Initiative, Michael Mach, hat im Drob Inn Hausverbot bekommen, weil er sich öffentlich kritisch zu der Einrichtung geäußert hat. Kleine Drogenhilfeeinrichtungen leisten sich zwei Geschäftsführer. Der Gesundheitsraum Fixstern öffnet nur fünf Stunden am Tag. Welche Konsequenzen sollten sich Ihrer Meinung nach daraus ergeben?

Zamory: Die Einzelfälle kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall muß eine Auseinandersetzung darüber möglich sein. Aber in einem Dialog, der – anders als augenblicklich – wirklich offen ist.

Bossong: Schon wieder dieser Vorwurf, wir führten keinen Dialog. Die Wahrheit ist, daß wir seit langem mit den Trägern diskutieren, aber klare Ziele haben, die wir durchsetzen wollen. Am Ende steht immer ein Kompromiß, so wie wir ihn mit der Mehrheit bereits erreicht haben. Dem Gros der Träger ist nämlich klar, daß wir nicht endlos reden können, während uns das Geld weggestrichen wird. Nur mit einigen wenigen haben wir große Schwierigkeiten.

Wie wollen Sie erreichen, daß von dem Steuergeld für die Drogenhilfe soviel wie möglich bei den Abhängigen ankommt?

Zamory: Formal ist dafür der Rechnungshof zuständig. Wenn es gelingt, Rahmenvereinbarungen zu treffen...

Wo kommen die Junkies in diesem Konzept vor?

Zamory: Man kann Junkies an diesem Prozeß beteiligen, sie befragen – das will ich überhaupt nicht ausschließen. Entscheidend ist ein Rahmen, auf den man sich verlassen kann, gegenseitiges Vertrauen und ein klar geregelter Kommunikationsweg, wenn es Konflikte gibt.

Bossong: Nicht alles kann im Konsens gelöst werden. Sie haben vorhin selbst gesagt, wenn Regeln nicht eingehalten werden, muß man auch mal sagen: So nicht. Im Zweifel muß sich die geldgebende Behörde durchsetzen und sagen: Dann ist es eben vorbei mit diesem Träger. Dazu stehe ich.

Moderation: Silke Mertins