Rassismus? Wo ist die Akte?

■ amnesty international prangert Mißhandlung eines 16jährigen sowie Vergabe von Brechmitteln in Bremen an

Was in London alljährlich über Bremen geschrieben wird, eignet sich schlecht als Promotion. Vier Seiten widmet der diesjährige amnesty international-Bericht Übergriffen Bremer Polizisten auf Ausländer. Neben der Brechmittelvergabe an vermeintliche Drogenhändler kritisiert die Menschenrechtsorganisation vor allem die Mißhandlung eines 16jährigen Jungen aus Sierra Leone, die bisher kaum öffentlich wurde.

Laut ai schlugen zwei Beamte Aliu B. im vergangenen Oktober in Gegenwart seines Zimmergenossen mehrfach mit Fäusten ins Gesicht und verdrehten ihm die Arme, weil der sich weigerte, seinen Schrankschlüssel herauszugeben. Der Arzt attestierte Prellungen sowie einen Riß im Unterlid. Wenige Tage später erstattete Rechtsanwalt Günter Werner Anzeige gegen die Beamten. Die wiederum leiteten ein Verfahren gegen Aliu B. wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt ein.

Drei Monate später forderte ai die Bremer Behörden auf, die Mißhandlungsvorwürfe „umfassend und zügig“zu untersuchen. Die mehr als erstaunliche Antwort des Leitenden Oberstaatsanwaltes Jan Frischmuth: Aliu B. habe keine Anzeige erstattet. Zu dem Zeitpunkt war Rechsanwalt Werner aber bereits seit mehreren Monaten im Besitz eines Aktenzeichens.

Als „Versehen“deklarierte Henning Maul-Backer, Referent im Justizsenat, gegenüber der taz den Vorfall. „Das ist übersehen worden.“Von Schlamperei will er nicht sprechen. „Bei 40.000 Ermitt-lungsverfahren im Jahr...“

Werner, der umgehend einen bitterbösen Brief an Justizsenator Henning Scherf verfaßt hatte, glaubt eher an eine „ziemlich dumme Ausrede“. „Wenn ich hochoffiziell ein Aktenzeichen mitgeteilt bekomme und der Leitende Staatsanwalt weiß später nichts davon, ist das mehr als peinlich“. Das Verfahren gegen Aliu B. wurde inzwischen eingestellt; gegen die Polizisten wird noch ermittelt.

Desweiteren listet ai wieder diverse Fälle „willkürlicher und unverhältnismäßiger“Brechmittelvergabe auf: Möglicherweise diente diese lediglich dazu, „die Personen grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zu unterwerfen.“Auch kritisierte ai, daß die Staatsanwaltschaft allem Anschein nach weder unparteiisch noch umfassend ermittle. jago

Auch der Personalrat der St.-Jürgen-Klinik wird aktiv: Am Dienstag soll dort ein Votum gegen die Verabreichung des Brechmittels Ipecacuanha verabschiedet werden. Für heute um 11 Uhr ruft das Anti-Rassismus-Büro-Bremen vor der Klinik zur Demo gegen die „viehische Menschenquälerei“auf.