Traufhöhe: 93,5 Meter

■ Nicht ganz konventionell: Internationales Handelszentrum in der Friedrichstraße. Serie "Hauptstadtdesign 49/90", Teil III

Hochhaus oder Gründerzeitblock? Der Streit ist für Berlin nicht neu. Jüngstes Beispiel ist die „Tragfähigkeitsstudie für die City- West“, die Bausenator Jürgen Klemann und seine Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit Mitte Juni vorstellten. Um Hochhaus-Nutzflächen in der Gründerzeitstadt um die Gedächtniskirche unterzubringen, wählen der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler und der Berliner Bauhistoriker Wolfgang Schäche einen Zwitter: einen schlanken Turm, der hinter einem blockartigen Fuß verschwindet. Doch schon Computeranimationen machen deutlich, daß dieser Bautyp den Stadtgrundriß weder historisch wiederherstellen noch um eine neue Dimension bereichern kann.

Hochhaus und Gründerzeitblock? Daß diese Kombination mehr sein kann als ein Kompromiß, beweist ein unterschätzter Bau der DDR: Das Internationale Handelszentrum am Bahnhof Friedrichstraße interpretiert den Berliner Baublock als Hochhaus. Es schafft einen öffentlichen Freiraum, ohne auf effiziente Grundstücksausnutzung zu verzichten. Es verbindet lokale Bautradition mit International Style, gesamtstädtische Planung mit Investorendesign, Welthandel und Kietzkonsum, Plan und Markt.

Ebenso ungewöhnlich wie die Bauaufgabe war die Konstellation der Beteiligten, die sie lösen sollten. Mit dem Gebäude versuchte ein abgeschotteter, eingemauerter Staat, Kontakt zur Welt aufzunehmen. Die Niederlassungen von mehr als hundert westlichen Großkonzernen und heimische Handelskombinate sollten unter einem Dach unterkommen. Planung und Bauausführung übernahmen zwei japanische Unternehmen. Nippon Steel baute, was die Kajima Corporation ausführungsreif plante.

Entsprechend bewegen sich Interieur und Details im Rahmen des international Üblichen: westliche Klimatechnik, Fertigteiltreppen, Otis-Fahrstühle, Seiko-Uhren. 18.500 Quadratmeter Bürofläche verbergen sich in einer simplen 25geschossigen Stahlskelettkonstruktion hinter einer Vorhangfassade mit dunkelbrauner Wärmeschutzverglasung. Selbst das Wahrzeichen, eine politisch neutrale Weltkarte aus Messingglöckchen, war politisch neutral. Am 28. März 1980 stellte die Berliner Zeitung fest: „Das Besondere sind die Namen auf den Firmenschildern.“

Alles andere als üblich war jedoch die städtebauliche Komposition, die Ehrhardt Gißke als Leiter der Baudirektion Berlin entwickelte. Er plazierte das Bauprogramm am Bahnhof Friedrichstraße. Dort hatten bereits 1920/21 und 1929 zwei Wettbewerbe „nach einem Turmhaus geschrien“. Gißke versetzte es nur auf die andere Seite der Trasse. Die Baumasse entspricht ungefähr dem, was sich heute in Traufhöhe 22 Meter auf den Parzellen der Neuen Friedrichstadt stapelt. Auch Gißke nahm einen konventionellen Block. Nur klappte er ihn einfach in die Vertikale.

Der Baukörper mit einer Länge von 63,8, einer Tiefe von 20,4 und einer Traufhöhe von 93,5 Metern ist kein Hochhaus, sondern ein Block. Ein frei davorgestellter, dreigeschossiger Pavillon übernimmt im nördlichen Teil die Vermittlung der Blockscheibe zur historischen Bauflucht. Zugleich ergänzt er mit Restaurant, Nachtclub, Supermarkt und Fitneßeinrichtungen die Büronutzung zur städtischen Mischung.

Auch die Gestaltung unterstreicht das Block-Motiv. Tagsüber erscheint er im Kern bis zum Rand mit Büros gefüllt, nachts verwandelt er sich durch den hell erleuchteten Blockrand zum Triumphbogen. Der Erfolg ist nicht allein ein ästhetischer. Die eigentliche Innovation, den die Drehung in die Vertikale am Boden hinterließ, ist der Freiraum. Hier ist der öffentliche Raum mit Klinkerpflaster, Wasserspielen, Sitzecken und Objekten des Künstlers Jan Jastram weit aufwendiger gestaltet als das Bauwerk selbst. Damit entspricht das IHZ sowohl den stadtplanerischen Zielen aus der Frühzeit der DDR, als man „sozialistischen Städtebau“ mit der Schaffung von Freiräumen für alle Bürger übersetzte, als auch dem heute geltenden Leitbild der kritischen Rekonstruktion, die die Einfügung jedes Einzelhauses in den Stadtkörper verlangt.

Welchen Gewinn das IHZ für die Friedrichstadt darstellt, wird erst jetzt richtig deutlich. Das Überangebot von Freiflächen zu DDR-Zeiten verhinderte, daß der einzelne eine Bedeutung erlangen konnte. Der Nachwende-Bauboom, der diese Lücken fast ausnahmslos auffüllte, kehrte die Wahrnehmung um. Heute ist die Friedrichstraße wieder eine rue corridor. Der Abschnitt zwischen Checkpoint Charlie und Dorotheenstraße ist ein langer, schmaler Tunnel geworden, in dem Kapital und Konsumenten sich möglichst nahekommen sollen. Die Raumwirkung, die sich hinter dem 30 Meter hohen, aber kaum 22 Meter breiten Spalt aus der Verbauung des ehemaligen Hotels Metropol und dem Dussmann-Haus entfaltet, besitzt heute eine früher unbekannte Großzügigkeit.

Doch auch zur Bebauung dieser Freiräume gibt es Pläne. Auf der Wiese gegenüber dem IHZ kündigt ein Bauschild die Errichtung eines Einkaufszentrums an. Noch in diesem Jahr wird die Bezirksverordnetenversammlung den Bebauungsplan für den Vorplatz des IHZ verabschieden. Der Hauptgesellschafter des IHZ möchte den Erfolg seines Hauses – anders als bei neueren Projekten sind hier über 90 Prozent vermietet – nutzen und bis zum Jahr 2000 180 Millionen Mark in eine Erweiterung um ein Hotel, Wohnungen und Büros auf insgesamt 35.000 Quadratmetern investieren. Der jetzige Vorbau soll abgerissen und der Raum nach Entwürfen des Berliner Architekten Christoph Langhof mit vier parallelen, sich zur S-Bahn von 16 auf 35 Meter treppenden Zeilen bebaut werden.

So gläsern diese Baukörper auch immer sein werden, mit der Wirkung des IHZ ist es dann vorbei. Der Vorplatz wird durch drei glasgedeckte Zwischenräume ersetzt, deren besondere Aufenthaltsqualität angesichts der zahllosen neuen Atrien in der Friedrichstadt bisher bloße Behauptung ist. Von dem Bahnhofsvorplatz und seiner kraftvollen städtebaulichen Komposition wird nur noch ein Stück Friedrichstraße bleiben, deren Bürgersteige sechs Meter breiter sind als üblich. Doch vielleicht rettet die derzeitige Flaute am Immobilienmarkt dieses außergewöhnliche Berliner Blockbeispiel. Geplant ist der IHZ-Ausbau immerhin schon seit 1991, und auch das Bauschild gegenüber steht schon etwas länger. Hans Wolfgang Hoffmann

Teil IV erscheint am 2. August: ein Kulturpalast