Jenseits der Geschlechtergrenzen

■ Lesbe, Marxistin, Jüdin: Leslie Feinberg, die amerikanische Autorin und Aktivistin der Transgender-Bewegung, liest heute in der Akademie der Künste

Als Leslie Feinberg in den 60er Jahren in einer US-amerikanischen Kleinstadt ihr Coming-out als Lesbe hatte, wurden Frauen wie sie he-shes genannt. Das doppelte Personalpronomen war die Antwort ihrer Umgebung auf die Uneindeutigkeit ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Eine Frau, die nicht dem Stereotyp entsprach, löste mindestens Unbehagen aus. Feinberg hat ihre Erfahrungen in dem teilweise autobiographischen Roman „Stone Butch Blues“ verarbeitet. Der Band ist in den USA wegen seiner präzisen Beschreibung des Lebensgefühls vor dem Beginn der Lesben- und Schwulenbewegung zum Kultbuch avanciert.

Heute abend liest Leslie Feinberg in der Akademie der Künste aus dem – inzwischen auch ins Deutsche übersetzten Roman („Träume in den erwachenden Morgen“). Feinbergs Romanheldin Jess Goldberg wächst in einer jüdischen Arbeiterfamilie in Buffalo im Staat New York auf. Als die Eltern die Zehnjährige in Vaters Klamotten vor dem Spiegel erwischen, muß sie für drei Wochen in eine psychiatrische Anstalt. Später reißt sie von zu Hause aus, hält sich mit Jobs in Fabriken über Wasser. In Lesbenbars lernt sie schließlich andere he-shes kennen; Butches, die Männerkleidung tragen und wie sie Männerarbeit leisten. Es ist die Zeit der Polizeirazzien in Lesben- und Schwulenbars. Dabei haben es die Beamten vor allem auf die Butches abgesehen, die sich der ihnen zugewiesenen Geschlechterrolle als Frau verweigern. Weil sie Männerkleidung trugen, machten sie sich nach damaliger Gesetzeslage strafbar. Sie werden zusammengeschlagen, verhaftet und auf der Polizeiwache vergewaltigt.

Später, Ende der 60er Jahre, wird der Protest gegen eine Polizeirazzia in einer New Yorker Homo-Bar den Beginn der Lesben- und Schwulenbewegung markieren. Doch in den Jahren davor ist Lesbischsein eine einsame, marginalisierte Angelegenheit. Unter dem Druck der drohenden polizeilichen Verfolgung und weil sie als Frau keinen Job mehr bekommt, sieht die Protagonistin des Romans keinen anderen Ausweg mehr: Sie läßt sich die Brüste amputieren und nimmt männliche Hormone, bis sie schließlich für einen Mann gehalten wird. Zehn Jahre lebt sie in Männergestalt, bis sie die Hormone absetzt.

Rückblickend bewertet Feinberg dieses von der Gesellschaft erzwungene Sichverstecken im anderen Geschlecht als Form von Unterdrückung, die es zu bekämpfen gilt. Feinberg fühlt sich der Transgender-Bewegung zugehörig, in der sich Transsexuelle, Transvestiten und alle anderen, die den Grenzen herrschender Geschlechterrollen trotzen, zusammenfinden. Sie tritt dafür ein, daß das Überschreiten von Geschlechterrollen gesellschaftlich akzeptiert wird.

In ihrem jüngsten Buch, „Transgender-warrior“, hat Feinberg erforscht, wie sich Geschlechterrollen historisch entwickelt haben. Ihr Ergebnis: In vielen europäischen Gesellschaften der Antike und in nichtwestlichen Kulturen waren und sind die Geschlechterrollen fließender. Transgender-Menschen sei mit Respekt begegnet worden. Erst nachdem sich eine patriarchale und später kapitalistische Gesellschaftsordung herausgebildet habe, sei der Druck zur Anpassung entstanden. Hier kommt Feinbergs marxistische Gesellschaftsanalyse zum Tragen – Feinberg gehört seit zwanzig Jahren der World Workers Party an. In jüngster Zeit setzt sie sich auch verstärkt mit ihrer jüdischen Herkunft auseinander. Dorothee Winden

Die gemeinsame Veranstaltung von Lesbenarchiv Spinnboden und Verlag Krug & Schadenberg in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, beginnt heute um 20 Uhr.