Der Boom als Rettungsanker

■ Mit der Galerie Zwinger verläßt die letzte wichtige Galerie SO 36, um sich auf der Kunstmeile in Mitte niederzulassen. Dort gibt es fast wöchentlich eine Neueröffnung

„Das Bistro Baguette werde ich vermissen“, stellt Werner Müller fest, der von dem kleinen Café aus seine Galerie Zwinger in der Dresdner Straße im Auge behalten konnte. Wenn im August die Ausstellung von Bettina Allamoda endet, zieht die Galerie in die Gipsstraße nach Mitte. Denn wenn auch das Publikum weiter den Weg nach SO 36 fand, so fehlten doch die anreisenden Sammler und Museumsarbeiter, die Berlin neuerdings als Kunststadt entdecken.

Endlich. Seit Jahren vergeblicher Beschwörungen durch Galeristenverbände und Splittergruppen scheint der Wunsch nach internationaler Aufmerksamkeit erfüllt, wenn auch weniger dank eines Konzeptes denn durch die Gunst der Geschichte. Die hat Berlin in Mitte eine Aufbruchsstimmung in einem Stadtteil beschert, der mit Leerstand zwischen Verfall und historischen Spuren eine Neubesetzung geradezu herausforderte.

Müller sieht den Umzug schlicht als Notwendigkeit, wenn er als Galerist überleben will. Aus Kreuzberg wegzugehen, fällt ihm nicht schwer. Die alternative Szene, die zur Gründungszeit der Galerie vor zehn Jahren noch die Vision hatte, die Gräben zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, zwischen Hochkultur und Alltag, zu überbrücken, hat ihre Kraft verloren. Mit dem Umzug setzt Müller auch auf einen Motivationsschub für die Künstler der Galerie. Sie haben mit ihrem Anspruch, Kunst nicht einfach als Fertigware aus dem Atelier zu schaffen, sondern damit in der Galerie eine neue Situation zu kreieren, den winzigen Raum kreuz und quer bespielt.

Tatsächlich war für viele Galerien der Boom in Mitte der Rettungsanker, um sich aus der Krise des Kunstmarktes in den neunziger Jahren zu hieven und sich von einem frustrierenden Mangel an Resonanz zu erholen. Nie hätte sich Friedrich Look, der 1988 die erste Galerie in der Auguststraße, die legendäre „Wohnmaschine“ eröffnete, träumen lassen, damit Trendsetter für eine neue Galeristenszene zu werden, zumal damals im Osten der Stadt von einem Kunstmarkt keine Rede war. Inzwischen verzeichnet der Berliner Kunstkalender 77 Galerien und Kunsträume rund um August- und Oranienburger Straße, darunter Eigen & Art und Wilfriede Maaß, die schon zu DDR-Zeiten dort arbeiteten, ehrgeizige Neugründungen, Dependancen von Kunsthändlern aus München oder dem Rheinland, nicht zu vergessen Institutionen wie die Kunst-Werke, das Centrum Judaicum und den Neuen Berliner Kunstverein. Fast wöchentlich flattert eine Neueröffnung ins Haus. Trotzdem hält Look unverdrossen an der „guten Energie“ fest, die das „produktive Umfeld“ liefert, „fast wie in der Hippie-Zeit“. Konkurrenz, hofft er, belebt nicht nur das Geschäft, sondern ermöglicht auch neue Qualitäten und Spezialisierungen.

Doch auch wenn es zur Zeit mehr Geschäfte für Kunst als für Brot zu geben scheint, ist damit die Existenz einer Kulturmeile in Mitte noch lange nicht gesichert. Nach einer Prognose des Berufsverbandes Bildender Künstler müssen die meisten der Künstler, die hier aufgrund ungesicherter Eigentumsverhältnisse günstigen Atelierraum mieten konnten, in den nächsten zwei Jahren mit Mieterhöhungen rechnen, die über ihr Bleiben entscheiden. Das gilt auch für viele nichtkommerzielle Kunstprojekte, die an einem Gebrauchswert der Kunst außerhalb des Marktes festhalten.

„Eigentlich“, wundert sich Helen Adkins von der Museumsakademie, „ist es erstaunlich, daß der Kunstboom solange angehalten hat.“ Sie will eine Schule für Ausstellungsmacher aufbauen. Sich zwischenzeitlich über Galeriearbeit zu finanzieren, ist nur eine Notlösung. „Aber wenn meine Idee funktionieren kann, dann nur hier.“ Viel Zeit läßt ihr ihr ökonomisches Polster nicht, deshalb braucht sie um so mehr das Interesse an dem Publikumsmagneten Mitte.

Für Berlin ist die Konzentration von zeitgenössischer Kunst an einem Ort neu. Sie macht nicht nur die in Charlottenburg ausharrenden Galeristen nervös; mulmig sollte auch kommunalen Kulturpolitikern werden, die mit dem Abzug der Galerien ein Stück dezentraler Kulturarbeit verlieren, das in Zukunft zum missing link zwischen Kiez und internationaler Kultur werden könnte.

Auf das Ende der sozialistischen Utopien, das dem alten Stadtzentrum den neuen Boom beschert hat, bezieht sich auch die Installation von Bettina Allamoda in der alten Galerie Zwinger. Sie hat ausrangierte Designelemente des Zeiss-Museums Jena, die den Weg in eine leichtere Zukunft euphorisch umspielten, zu einer Skulptur umgebaut. Katrin Bettina Müller