Messerwetzen in Pale

■ Aufgelöstes Parlament tagt. Die Gefahr bewaffneter Konflikte wächst

Pale (taz) – Kurz vor der Sitzung des Parlaments der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina gestern nachmittag konnte niemand sagen, wie der Machtkampf zwischen der Parlamentsmehrheit in Pale und der Präsidentin Biljana Plavsić ausgehen wird. Noch ist ungewiß, ob Plavsić erscheint, nachdem sie am Donnerstag das Parlament aufgelöst und für den 1. September Neuwahlen angeordnet hatte. „Das ist ein illegales Vorgehen“, sagten Mitarbeiter des Mitglieds des bosnischen Staatspräsidiums, Momcilo Krajsnik. „Das Parlament wird das Volk über die Präsidentin entscheiden lassen.“ Legalerweise kann die Präsidentin nur durch Volksentscheid gestürzt werden.

Alle Fragen über den unsichtbaren und doch allgegenwärtigen früheren Präsidenten Radovan Karadžić werden in Pale abgewehrt. Und doch ist klar, daß es um einen Machtkampf zwischen Karadžić und Plavsić geht. Dahinter steht die Frage, ob die serbische Teilrepublik das Dayton-Abkommen respektiert. Karadžić ist dagegen. Er fürchtet vor allem um seinen Serbenstaat, den er durch die „ethnische Säuberung“ geschaffen hat. Biljana Plavsić habe sich in der Frage Brčko und der Zusammenarbeit mit der internationalen Polizei gegenüber der internationalen Gemeinschaft zu kompromißbereit gezeigt, kritisiert er.

Biljana Plavsić dagegen hat sich an die Spitze jener gesetzt, die mit der nationalistischen Ideologie allein nicht mehr auskommen wollen. Man müsse aus wirtschaftlichen Gründen auch Kompromisse machen, heißt es. Obgleich sich Karadžić auf seine Gefolgschaft in der Partei SDS, Belgrad sowie der Mehrheit der Bevölkerung in Pale stützen kann, hat Plavsić in den letzten Tagen ihre Position verbessert. Schon ihre Radioansprache vom Mittwoch zeigte, daß sich der Militärkommandeur Pero Colić neutral verhalten will. Denn die Armee kontrolliert die Anlagen für Radio und Fernsehen. Selbst die Polizei ist nach der Entlassung des Innenministers gespalten. In Banja Luka und Westbosnien unterstützt sie Plavsić. Dagegen zählt die Spezialpolizei zu den Bataillonen von Karadžić und Krajsnik.

Kann es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen? Misko Pantić, Chef des Pressebüros in Pale, kann diese Gefahr nicht ausschließen. Denn Karadžić vermutet selbst, daß Plavsić ihn verhaften lassen möchte. Seit ihrem Gespräch mit US-Aussenministerin Madeleine Albright vor wenigen Wochen in Banja Luka verdichten sich diesbezügliche Gerüchte. „Die Behörden der Republika Srpska sollen die Kriegsverbrecher verhaften und ausliefern“, bekräftigte gestern ein SFOR- Sprecher. Und er dementierte Berichte über Befehle an die SFOR, Karadžić und Mladić festzunehmen. Zweckdementis, heißt es in diplomatischen Kreisen in Sarajevo. Die militärischen Voraussetzungen seien geschaffen, es fehle nur an der politischen Entscheidung. Wie hart darum gerungen wird, zeige, daß Albright geäußert haben soll, „in Bosnien steht die Existenz der Nato auf dem Spiel“. Für die USA ist die Festnahme der Kriegsverbrecher die Voraussetzung, Dayton umzusetzen. Bleibt die Frage, was passiert, wenn Plavsić verliert. Erich Rathfelder