Interview: Wilfried Voigt
: Zeit zum Handeln

■ Der grüne Kieler Energie-Staatssekretär über Leukämie-Streit und Atom-Ausstieg

taz: Krümmel war's, Krümmel war's nicht – der Streit der Wissenschaftler um den Auslöser von Leukämie scheint unüberbrückbar. Wieso sollten ausgerechnet Ihre neuen strahlenbiologischen und anlagentechnischen Gutachten daran etwas ändern?

Wilfried Voigt: Weil die Ursachen der Leukämie-Erkrankungen in der Elbmarsch nach wie vor nicht geklärt sind. Auch radioaktive Strahlung als Ursache ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht ausgeschlossen.

Die Strahlenforscher Kellerer und Gassmann behaupten das Gegenteil.

Ihre Aussagen – vor allem die Schlußfolgerung in bezug auf Krümmel – sind politisch motiviert. Sie sind nicht gesicherter Stand der Erkenntnis. Ich halte es für zynisch zu sagen, die Ursachen seien offen, aber Krümmel schon den Persilschein auszustellen. Gerade auch an der Aufarbeitung der Tschernobyl-Katastrophe gab und gibt es massive Kritik.

Soweit es Krümmel betrifft, konnten größere Störfälle mit massiver Freisetzung von Radioaktivität nicht nachgewiesen werden.

Stimmt. Ein wesentliches Ziel unserer Gutachten ist es daher auch, unterhalb gesetzlicher Grenzwerte zu klären, ob zum Beispiel der Normalbetrieb und die damit verbundenen Emissionen ein Gefährdungspotential darstellen ...

... das atomrechtlich ausreichend wäre, das AKW stillzulegen?

Wichtig ist, ein „Besorgnispotential“auch zu belegen. Es geht dabei nicht um eine strenge kausale Beweisführung wie nach dem preußischen Gefahrenrecht, sondern darum, die Möglichkeit der Leukämie-Auslösung konkret zu belegen. Wenn sich zum Beispiel herausstellen sollte, daß Leukämien schon durch erheblich niedrigere Dosen als bisher angenommen auslösbar sind, und wenn zudem die verschiedenen Nuklide gefährlichere Wirkungen haben sollten, dann ist die Zeit des Handelns gekommen.

Das finden viele Ihrer Parteifreunde schon lange. Als Aufsichtsbehörde können Sie AKW-Betriebsgenehmigungen im Zweifel entziehen.

Ich sage noch einmal: Dafür braucht man einen atomrechtlich zwingenden Grund. Konsequenter und leichter wäre die ganze Sache, wenn wie in Schweden der Ausstieg per Gesetz in Bonn beschlossen würde.

Fragen: Heike Haarhoff