Der Weg ins Glück führt über die Leihbücherei Von Ralf Sotscheck

Der Trend geht zum Leihbuch. Jedenfalls in Waterford im Süden Irlands. Die kleine Bücherei an der Lady Lane verspricht in ihrer Werbung, daß der Leseausweis ein „Weg ins Glück“ sei. Nun ist die Reklame wahr geworden: Ein Unbekannter hat Rubbellose im Wert von 20.000 Pfund in den Büchern versteckt. 500 Stück sind bereits gefunden worden, mehrere Kinder haben Preise zwischen 50 und 100 Pfund gewonnen.

Als die Nachricht vorige Woche bekannt wurde, sind die Menschen aus der ganzen Region herbeigeströmt, haben ihre zwei Pfund Beitrittsgebühr entrichtet und umgehend die Leihbüchereibestände gefleddert. Es gibt immerhin 70.000 Bände. Es sei wie beim großen Goldrausch in Amerika, meint die Bibliothekarin Loretta Kinsella: „Es ist unglaublich. Freitag nachmittag ist es normalerweise sehr ruhig bei uns. Jetzt haben wir die halbe Stadt hier.“

Bücher will jedoch niemand ausleihen, aber alle blättern hektisch in Werken, die sie sonst nie anfassen würden: Ein Zwölfjähriger hatte sich ein Buch über die Relativitätstheorie geschnappt, die Deckel nach hinten gebogen und schüttelte den Einstein so kräftig durch, daß die Seiten herausfielen. Ein Rentner studierte eingehend ein Bilderbuch für Kinder im Krabbelalter, eine Nonne machte sich über eine Sammlung schlüpfriger Limericks her. Die irische Lotteriegesellschaft schwört, daß es sich keineswegs um einen ihrer dusseligen Werbetricks handle. Das hatte man zuerst nämlich angenommen, hatte sie doch mit ihrer neuesten Fernsehwerbung einen peinlichen Flop gelandet: In dem Werbefilmchen sitzen drei Männer an der Bar, und zwei springen plötzlich auf, weil sie im Lotto gewonnen haben. Der Dritte starrt völlig ungerührt in sein Guinness. Umfragen ergaben, daß die Mehrheit der Zuschauer den Streifen für eine Guinness-Reklame hielt.

Die Rubbellose kosten ein Pfund, jedes neunte Los gewinnt. Man kann Preise bis zu 20.000 Pfund sowie einen Fernsehauftritt gewinnen. Es müsse sich um einen „Menschen mit gutem Herzen“ handeln, glaubt die Lotterie-Sprecherin, der die Lose in den Büchern „zum Wohle der Menschen von Waterford“ versteckt habe. Möglicherweise sei es einer der 70 Lottomillionäre, die es seit der Gründung des Staatslottos vor ein paar Jahren gibt. Die Lottogesellschaft hat ein wenig nachgeforscht: Zwei der Lose wurden in Ennis im Westen Irlands gekauft. Dort hat es in letzter Zeit aber nur einen großen Gewinn gegeben: eine Tippgemeinschaft aus 24 Polizisten. Eine Anfrage beim Revier ergab, daß keiner der Beamten aus Waterford stamme.

Oder ist der vermeintliche Wohltäter etwa ein geheimer Sünder, der auf diese Art Buße tun will? Die Idee ist jedenfalls prima. Davon könnte sogar die katholische Kirche etwas lernen, um die verlorengegangenen Schäfchen wieder in die Gotteshäuser zurückzutreiben. Vor ein paar Jahren beteuerten noch über neunzig Prozent der Bevölkerung, daß sie sonntags zur Messe gingen. Jetzt sind es nicht mal mehr zwei Drittel. Ein Rubbellos im Gesangsbuch könnte Wunder bewirken. „Errubbel dir drei heilige Marias, und du gewinnst 50 Pfund“, könnte der Slogan lauten. „Drei Satansbildchen bringen 666 Pfund, und dreimal Jesus bringt einen Tausender inklusive Sündenvergebung.“