Die bosnischen Serben wollten gestern den Konflikt zwischen nationalistischen Hardlinern und Gemäßigten entschärfen. Doch es handelt sich bei der Krise um mehr als einen Machtkampf zwischen Karadžić und Präsidentin Plavšić Von Erich Rathfelder

Weichenstellung für Bosniens Zukunft

Die Gräben zwischen den Repräsentanten der verfeindeten Lager in der Serbischen Republik in Bosnien-Herzegowina sind tief geworden. Gestern sollte eine politische Lösung gefunden werden. Doch das Treffen zwischen Präsidentin Biljana Plavšić und Momcilo Krajišnik, serbisches Mitglied im bosnischen Staatspräsidium, wurde abgesagt. Bei dem Konflikt handelt sich nicht mehr nur um einen Machtkampf zwischen Plavšić und ihrem Vorgänger Radovan Karadžić, der nach wie vor alle Fäden ziehen will. Bei diesem Konflikt handelt es sich um die Weichenstellung für die Serbische Republik in Bosnien-Herzegowina.

Die zentralen Fragen dabei sind: Soll die Serbische Republik in den Dayton-Prozeß eingebunden werden oder nicht? Soll sie sich vom Gesamtstaat abspalten oder sich den Bedingungen der internationalen Gemeinschaft beugen und einen Modus vivendi mit der kroatisch-bosniakischen Föderation finden? Sollen also auch die Kriegsverbrecher nach Den Haag ausgeliefert werden? Zudem geht es um eine Auseinandersetzung zwischen Regionen: Während in dem bei Sarajevo gelegenen Gebirgsort Pale Radovan Karadžić, die Regierung und das Parlament sitzen, hat Präsidentin Plavšić die westbosnische Stadt Banja Luka zu ihrem Amtssitz gewählt.

Banja Luka ist mit fast 200.000 Einwohnern schon vor dem Krieg nach Sarajevo die zweitgrößte Stadt Bosnien-Herzegowinas gewesen. Sie besaß damals, vor der Vertreibung der Muslime und Kroaten, ein ausgesprochen multikulturelles Flair und eine gebildete Mittelschicht. Etwa 450.000 Menschen leben heute in der Region, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung der Serbischen Republik in Bosnien, der „Republika Srpska“. Und die Mehrheit der städtischen Bevölkerung ist wenig geneigt, sich von den „Hinterwäldlern“ aus Pale die Politik vorschreiben zu lassen.

Daß die Auseinandersetzung zwischen Karadžić und Plavšić eine solche Schärfe erreicht hat, ist dennoch verwunderlich. Denn es handelt sich ja auf beiden Seiten um alte Freunde und Weggefährten. Biljana Plavšić und Momcilo Krajišnik, der serbische Vertreter im Staatspräsidium der Gesamtrepublik, gehören beide schon seit 1990 zu dem engsten Führungskreis der serbischen Nationalisten in Bosnien. Mit List und Gewalt haben sie gemeinsam andere politische Strömungen der Serben in Bosnien überspielt und den Kriegskurs durchgesetzt.

Besonders die in Sarajevo lehrende Biologieprofessorin Biljana Plavšić tat sich mit radikalen Thesen hervor. So verglich sie Bosnien-Herzegowina mit der Tierwelt. Die Serben seien die stärksten Tiere und hätten das Recht, über die schwächeren Tiere zu herrschen. Als sie noch als Mitglied des Staatspräsidiums Bosnien-Herzegowinas im Mai 1992 die damals von serbischen Truppen eroberte Stadt Bijeljina besuchte, gratulierte sie öffentlich dem Geheimdienstkiller und Freischärler Arkan zu der Aktion, die den Auftakt für die „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien darstellte. Und löste damals einen Riesenkandal aus.

Vielleicht hat Momcilo Krajišnik, der nach wie vor zu Karadžić hält, Bijeljina mit Vorbedacht als Konferenzort ausgewählt. Vielleicht wollte er Biljana Plavšić an diese gemeinsame Geschichte erinnern. Noch als Karadžić nach dem Abkommen von Dayton als Präsident zurücktreten mußte und Plavšić seine Nachfolgerin wurde, zeigte sie sich absolut loyal: „Karadžić wird immer unser Präsident bleiben“, sagte sie anläßlich der Zeremonie.

Doch schon bald zeigten sich die ersten Risse. Denn Plavšić wollte es nicht hinnehmen, auf Dauer von Karadžić bevormundet zu werden. Nach einem Konflikt, dem der damalige Premierminister Kasagić zum Opfer fiel, siedelte sie im Juni letzten Jahres nach Banja Luka über und entzog sich so dem direkten Einfluß ihres Vorgängers. Langsam entfernte sie sich auch von seiner Politik und begann resolut, andere Vorstellungen zu entwickeln. Unterstützt von Teilen der serbischen Mittelschicht Banja Lukas – die traditionell eher nach Zagreb und den kroatischen Küstenstädten als nach Belgrad ausgerichtet ist –, stellte sie die Frage nach der Ökonomie. Die Politik aus dem Bergdorf Pale konnte nicht zusammenpassen mit den Bedürfnissen einer Großstadt, die zudem über beachtliche industrielle Potentiale verfügt. Da Karadžić keine Kompromisse mit den internationalen Institutionen eingehen wollte, platzten Wirtschaftsabkommen und Kredite.

Karadžić ist ja auch nicht darauf angewiesen nachzugeben. Er selbst und seine engere Anhängerschaft verdienen, wie Plavšić kürzlich monierte, an der Schattenwirtschaft und dem Schwarzmarkt. Und dieser Wildwuchs ist unerträglich für Leute, die endlich ernsthaft an den Wiederaufbau des Landes gehen wollen.

Die Unterschiede zwischen den serbischen Gebieten Ostbosniens und Westbosniens zeigten sich schon bei den Wahlen im September letzten Jahres, bei denen nicht nur das gesamtbosnisch-herzegowinische Parlament gewählt wurde, sondern auch die Parlamente der kroatisch-bosniakischen Föderation und der „Republika Srpska“. Während Ostbosnien – die Gebiete um Srebrenica, Žepa, Foca sowie die Gegend um Pale und Han Pijesak – für den Karadžić-Kurs stimmte, bekamen in Banja Luka auch Oppositionsparteien ihre Chance. In Banja Luka entstand sogar so etwas wie eine demokratische Öffentlichkeit.

Der Riß geht inzwischen auch durch die Institutionen. Polizei und Armee in Westbosnien ziehen nicht mehr unbedingt mit ihren Kollegen aus Pale am gleichen Strang. Und die Forderungen von internationaler Seite, die Kriegsverbrecher Karadžić und Mladić an Den Haag auszuliefern, vertiefen den Graben noch.