„Senator Pieroth entwickelt keine Konzepte“

■ Arbeitslosigkeit und Pleitewelle: Norbert Meisner, ehemaliger SPD-Wirtschaftssenator, über die Politik seines Nachfolgers von der CDU: Zuwenig Einfluß auf andere Ressorts

taz: Die Arbeitslosigkeit in der Region steigt und steigt, die Wirtschaft steckt in der Krise. Hektisch reist Wirtschaftssenator Elmar Pieroth in der Welt herum, um Investoren anzuwerben. Junge Leute versucht er zu überreden, hier ihren eigenen Betrieb zu eröffnen. Kann man das als Wirtschaftspolitik bezeichnen?

Norbert Meisner: Das ist sein Stil. Schon 1981 ist er angetreten als einer, der persönliche Beziehungen aufbaut, um Unternehmen anzusiedeln. Außerdem war es sein Werk, das Technologie- und Innovationszentrum TIB im Wedding zu gründen – Mutter aller Gründerzentren. Beides muß heute nicht falsch sein. Ich selbst habe als Wirtschaftssenator zuwenig Wert auf die Existenzgründungen gelegt, weil ich mich hauptsächlich um die sterbenden Betriebe im Osten kümmern mußte.

Es sollte etwas mehr passieren als Händeschütteln und Appelle.

Was man tatsächlich machen kann, ist nicht viel. Wozu arbeiten in den 16 Bundesländern eigene Wirtschaftsminister? Die Förderinstrumente gibt Brüssel vor, den nationalen Rahmen schafft Bonn. Allerdings neigen Sozialdemokraten eher dazu, die geringen Möglichkeiten für strukturelle Entscheidungen zu nutzen, als die Konservativen.

Ihr Nachfolger will keine Richtungsentscheidungen treffen?

Während meiner Amtszeit beschlossen wir, Mietsteigerung auf Industrieflächen zu verhindern. Das hat den raschen Abbau der Fertigung verlangsamt. Diese Entscheidung wäre in einer CDU-Regierung niemals gefallen.

Welche Grundsatzentscheidungen stehen jetzt an?

Man müßte die Marktmacht der Berliner Unternehmen wie BVG und Wasserbetriebe mehr zur Förderung der regionalen Wirtschaft einsetzen. Deshalb sollte man den Vorständen klarmachen, daß sie ihre Aufträge vor allem an hiesige Betriebe zu vergeben haben. So etwas passiert in Berlin viel zuwenig.

Das ist purer Protektionismus!

Nein, Stützung der lokalen Wirtschaft.

Nimmt der Wirtschaftssenator also zuwenig Einfluß auf die Unternehmen?

Pieroth leitet eine Verwaltung, die „Wirtschaft und Betriebe“ heißt. Von dort aus müßte auch die Nachfrage der Staatsbetriebe in die Wirtschaft hineingelenkt werden.

Kann Pieroth sich im Senat durchsetzen?

Er versucht es zuwenig. Seine Schwierigkeiten liegen da, wo er politische Konzepte in seiner Verwaltung entwickeln und umsetzen müßte. Wirtschaftsminister sind eigentlich dafür da, Einfluß auf ihre Kollegen in den anderen Ressorts zu nehmen. Diese Aufgabe nimmt der Senator nur unzureichend wahr.

Ein Beispiel: In der Verkehrstechnik bietet der flächendeckende Einsatz von elektronischen Systemen zur Verkehrslenkung große Marktchancen in allen Großstädten der Welt. Diese Leitsysteme könnten von in Berlin ansässigen Firmen hergestellt werden. Dazu muß so etwas aber auch hier praktiziert werden. Das bei der Bau- und Verkehrspolitik durchzusetzen, ist Aufgabe des Wirtschaftssenators.

Die Rahmenbedingungen für neue Produkte fehlen?

Wer Autofahrern Tips gibt, wie sie am besten – mit Auto oder Bahn – zum Ziel kommen, der kann mit dieser Dienstleistung Geld verdienen. Darüber hinaus könnten durch Straßenbenutzungsgebühren auf überlasteten Straßen in der Innenstadt noch die Mittel eingenommen werden, die nötig sind, um das BVG-Angebot attraktiv zu machen. Doch ich fürchte, zu solchem Denken in Systemen findet Pieroth überhaupt keinen Zugang.

Senator Pieroth müßte Gesellschaftspolitik machen...

...und nicht nur Wirtschaftspolitik. Interview: Hannes Koch