Thomas liebt Jungs. Früh spürte er, daß er anders ist als die anderen. Na und? Aber der Weg in die andere Welt war für ihn beschwerlich und schmerzhaft. Viele junge Schwule erleben ein ähnliches Coming-out. Selbst in einer Großstadt wie Ber

Thomas Dimpel ist nicht sein richtiger Name. Den will er lieber nicht preisgeben, weil er homosexuell ist. Thomas ist 19, hat gerade sein Abitur gemacht und fängt demnächst eine Lehre als Koch an. Er ist bekennender Katholik, in seiner Freizeit betreut er eine Kindergruppe und engagiert sich in einem Umweltverein. Thomas hat zwei Brüder, seine Eltern sagen, sie mögen ihn, als Sohn. Als offensiv lebenden Schwulen wollen sie ihn nicht akzeptieren.

taz: Schmecken Küsse von Frauen anders als die von Männern?

Thomas Dimpel: Mit 15 hab' ich mal probiert, mit einem Mädchen zusammenzusein. Händchen haben wir gehalten und uns einen Zungenkuß gegeben. Das war schon lecker, aber nicht richtig geil. Als ich aber meinen ersten Jungen geküßt habe, da kribbelte es von den Füßen bis zum Kopf – und dazwischen ganz besonders.

Und im Kopf blitzte die Leuchtschrift: Herzlichen Glückwunsch, du bist schwul?

Zuerst habe ich noch eine Weile vor mich hingelebt und Jungens nachgeguckt und beobachtet, wie die sich bewegen. Das fand ich viel geiler. Da wußte ich, ich bin schwul. In der Bücherei habe ich mir ein Buch über Schwule ausgeliehen und dort die Adresse vom Mann-O-Meter gefunden.

Der direkte Weg in die Selbsthilfegruppe?

Ich hab' da sofort angerufen, ohne nachzudenken, denn sonst hätte ich es nicht gemacht. Bin auch gleich hingefahren, und als ich in dem Laden drin war, kam ich mir verlassen vor. Jemand bot mir Kaffee an und hat sich mit mir unterhalten, das war ein Psychologe. Der hat von einer Jugenddisco erzählt, die sie in der Connection- Bar machen. Ein völlig abschreckender Ort. Überall hingen Plakate von harten Lederkerlen rum. Eine ziemlich verrufene Disco, aber ich habe auch ein paar Jugendliche getroffen, mit denen habe ich mich zusammengetan.

Und gleich mal ausprobiert?

Sicher wird man neugierig und will das ausleben, was man sich in den Träumen ausdenkt. Ist bei euch Heteros doch nicht anders.

Wann hast du gesagt: Mama ich bin schwul, Papa, ich liebe Jungs?

Im Sommer 1993, auf einer Klassenfahrt, habe ich ihnen einen Brief geschrieben und alles gesagt. Ich dachte, so ein Brief gibt ihnen die Möglichkeit, in Ruhe darüber nachzudenken, ohne sich mir gegenüber sofort verhalten zu müssen. Ich kam also nach Hause – und nichts passierte. Keiner sprach mich an. Ein, zwei, vier Monate habe ich gewartet.

Beim Abendessen habe ich dann mal nachgefragt. Mir schien, ein Gespräch wäre die einzige Lösung. Aber sie sagten nichts, sie schwiegen einfach. Es war ihnen wohl unendlich peinlich. Mich machte die Situation traurig. Irgendwie schmerzte mein ganzer Körper, nicht von Schlägen. Sondern von den einzigen Worten, die mein Vater regelrecht ausstieß: Bring bloß keinen von den Kerlen ins Haus.

Die Blicke meiner Mutter riefen ihm auch noch laut Beifall zu.

Das war vor vier Jahren, heute bist du 19. Hat sich das Verhältnis zu den Eltern entspannt?

Wir reden über das Alltägliche, aber nicht über tiefe Gefühle, über Liebe. Meine Mutter hat gesagt: Du bleibst mein Sohn. Aber irgendwie gehen sie mit mir um, als wäre ich ein Kranker. Ich fühle mich abgestempelt, komme mir oft wie ein Behinderter vor.

Wie reagierten deine Freunde in der Schule?

Ich ging zwar auf eine katholische Schule, aber nicht nur da habe ich immer wieder gehört: Schwule sind krank, aber man muß sie mögen. Im Unterricht wurden mir Zettel zugesteckt, mit mir in der Hauptrolle. Ich ficke einen Typen und werde von hinten von einem anderen gefickt. So hat man seinen Ekel vor mir ausgedrückt.

Konntest du dich nicht mit einem Lehrer besprechen?

Auf dieser Klassenfahrt habe ich mich einer Lehrerin anvertraut, als ich den Brief an meine Eltern schrieb. Sie zeigte im ersten Moment zwar Verständnis, aber bei der nächsten Fahrt bekam ich ein Einzelzimmer, eine Einzelzelle. Sie sagten, anders haut die Zimmeraufteilung nicht hin, aber das war eine Ausrede. Ich lebe in der größten deutschen Stadt und es passiert immer wieder, daß ich immer nur und ausschließlich als Schwuler gesehen werde. Alles andere an mir wird ignoriert.

Gab es in deiner Familie schon einmal einen Homosexuellen?

Mein Urgroßvater väterlicherseits soll homosexuell gewesen sein. Ein Nachbar habe ihn denunziert, er soll daraufhin in ein Konzentrationslager gekommen sein und sei dort ermordet worden. Sagt meine Mutter. Mein Vater soll das angeblich nicht wissen. Eine ganze Zeitlang habe ich mir Gedanken darum gemacht, ob Urgroßvater wirklich schwul gewesen ist. Meine Mutter hat mich gebeten, aus Rücksicht nicht mit meiner Oma darüber zu reden. Die wohnt in einem katholischen Dorf, und sie könne diese Frage nicht verkraften, sagt meine Mutter. Ich werde sie nicht fragen, weil mir die Geschichte von Urgroßvater nicht nahegeht. Ich habe ihn ja nicht gekannt.

Mit deinen Eltern bist du sehr nachsichtig, obwohl sie dich verletzen?

Ich mußte meinen Weg sehr früh allein suchen, da lernt man die Ängste der andern zu akzeptieren. Ich bekomme sehr schnell mit, was andere denken und fühlen. Das habe ich bei meinen Eltern gesehen. Die dachten sich: Wir haben Probleme mit unserem jüngsten Sohn, weil er möglicherweise aufgrund seiner Sexualität große gesellschaftliche Schwierigkeiten bekommen wird. Das muß ich akzeptieren, und deswegen fühle ich mich als Sohn auch nicht abgeschoben. Vielleicht kann ich in sechs, sieben Jahren mit ihnen über diese Dinge reden.

Wenn du noch einmal 15 sein könntest, würdest du es deinen Eltern anders sagen?

Ich würde nicht mehr sagen: Hört her, ich bin schwul. Geschickterweise würde ich sie vorbereiten. Wenn im Fernsehen etwa eine Sendung läuft, würde ich sagen: Ich hab' Bock, sie mir anzugucken, da geht es um Schwule. Und dann würde ich auf ihre Reaktion warten und darauf wieder reagieren. Man muß bei Eltern erst einmal ein bißchen Vorbildung erarbeiten. Man kann sie gezielt mit Medien vorbereiten.

Hört sich an wie aus einem Ratgeber: Was tun, wenn mein Sohn schwul ist.

Genauso. Man kann solche Aufklärungsvideos für Eltern auch ausleihen.

Ist das Coming-out eigentlich irgendwann einmal abgeschlossen?

Das geht immer weiter, sowie man Leute kennenlernt und sie immer wieder damit konfrontieren muß, daß man schwul ist. Ich möchte später im Jugendbereich arbeiten. Dort gibt es noch eine Menge Vorbehalte, Schwule zu beschäftigen, aus Angst, sie machten sich an die Jungs ran. Ich kenne viele Erzieher und Lehrer, die ihre Sexualität verheimlichen. Sie müssen es, aus Angst um ihren Job.

Weil dir deine sexuelle Bestimmung unangenehm werden könnte, richtest du dich darauf ein, als versteckter Schwuler zu leben?

So lebe ich ja jetzt auch. Leute, die mir ganz nahe sind, denen erzähle ich es. Aber wenn ich auf der Arbeit diskriminiert würde, hoffe ich, das meistern zu können.

Von der Heterowelt fühlst du dich auf deine Sexualität reduziert, ist das in der Homogemeinde nicht der Fall?

In Discos, wo viele Ältere sind, werde ich als Frischfleisch gehandelt. Da wird man ziemlich fies angebaggert. Das ist nicht einfach, als junger Typ zu sagen: Laß mich, ich habe keine Lust auf dich.

Lassen die älteren Männer dann nach?

Die meisten, ja. Aber es gibt auch welche, die sind verzweifelt und drängen. Da darf man nicht nachgeben. Ich war froh, daß ich ältere Schwule hatte, die mir dabei geholfen haben, mich solcher Situationen zu erwehren.

Gibt es bestimmte Treffpunkte, die du deswegen meidest?

Wenn ich Bock auf anonymen Sex habe, gehe ich auch in den Darkroom. Ich schränke mich nicht ein.

Anonymität ist also wichtig, auch beim Sex?

Es ist schon aufregend, mit jemandem zu vögeln, den man nicht kennt. Aber ich mach' nur Safer- Sex, egal, wo ich bin.

Und nie kommt die Lust, es ohne Gummi zu machen?

Ich will mir doch nicht mit 19 den HI-Virus einfangen oder irgendeine Geschlechtskrankheit. Wenn ich irgendwann eine feste Beziehung habe, derer ich mir sicher bin, da kann ich dann mal sagen: Wir lassen uns testen. Aber erst wenn ein begründetes Vertrauen da wäre, käme mir das Verlangen nach unsaferen Sachen. Dann erst kann man sagen: Wir sind jetzt soweit, daß wir den letzten Schritt wagen können. Das wäre dann wie Heiraten.

Interview: Annette Rogalla