Das Portrait
: FIS-Führer auf freiem Fuß

■ Abdelkader Haschani

Abgemagert nahm Abdelkader Haschani, Nummer drei der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), am späten Montag abend sein Urteil entgegen: fünf Jahre Haft wegen „Aufruf zur Rebellion“, lautete die schlechte Nachricht und die gute: weil er die Strafe mit der U-Haft bereits verbüßt hat, erwartet ihn die Freiheit.

Der heute 42jährige Petroingenieur war am 22. Januar 1992 verhaftet worden. Der ansonsten für seine abwägende Haltung bekannte Islamist hatte sich zu einem Aufruf an die Soldaten des Landes hinreißen lassen: sie sollten den Generälen, die nach dem Wahlsieg der Islamisten die Macht im Lande an sich rissen, die Gefolgschaft verweigern.

Haschani hatte nach der Verhaftung der beiden FIS- Führer Abassi Madani und Ali Belhadsch im Sommer 1991 die Leitung der Organisation übernommen. Der bärtige Neuling stand damals vor einer schwierigen Aufgabe: Die FIS drohte zu zerfallen.

Doch Haschani bewies sein Talent als Taktiker. Der Gegner eines Islamismus iranischer Prägung band die radikalen Strömungen, die mit dem Gedanken an den bewaffneten Kampf spielten, in die politische Arbeit ein. Geschlossen führte er die Islamisten zu ihrem Wahlsieg Ende 1991.

Im Gefängnis protestierte Haschani in neun Hungerstreiks gegen seine Haft und Mißhandlungen. Ein letztes Mal tobten sich die Polizisten auf dem Weg zum Gerichtssaal an ihm aus. Haschani wurde Montag morgen förmlich aus der Zelle geprügelt. Im Gerichtsgebäude angekommen, mußte er über eine Stunde mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Steinboden liegend auf den Verhandlungsbeginn warten.

Sein Verhandlungsgeschick nützte Haschani hinter Gittern nur wenig. Das mußte er 1995 lernen, als im Serkadschi-Gefängnis eine Revolte ausbrach. Der FIS- Führer wollte vermitteln, doch das Militär stürmte und erschoß nach eigenen Angaben 96 Insassen.

Heute ist es einsam geworden um den Mann, der die FIS auf den Höhepunkt ihrer Geschichte führte. Madani sitzt unter Hausarrest, Belhadsch im Gefängnis. Einige Mitstreiter sind zu den Militärs übergelaufen, andere haben sich den Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) angeschlossen, und im Exil streiten sich gleich mehrere Gruppen um das Erbe der FIS. Reiner Wandler