Mein erstes Mal

■ Heute: Tina Uebel, die Hamburger Autorin, Mitbegründerin der Edition 406 und Mitveranstalterin von "Hamburg ist Slamburg", über ihren ersten Porno

Mein erster Porno unterschied sich, denke ich, nicht im geringsten von anderen Pornos - detaillierte Aus- und Einblicke auf und in Körperteile und -öffnungen von Menschen, deren restliche Physis so häßlich ist, daß die Kamera verdorrte, würde sie länger darauf verweilen - kaum einer Erwähnung wert, wären die begleitenden Umstände nicht so hübsch gewesen. Ich, zarte 18 Jahre, wohnte damals in Volksdorf, das ein Kaff ist, in meiner eigenen Wohnung, was ein Skandal war; da in Volksdorf jeder jeden kennt, waren ich und meine Wohnung ein Quell ständiger Mythen und Legenden; Gerüchte über sexuelle Exzesse, Drogenkonsum und lasterhaften Lebenswandel blühten wie die Rhododendren in den Vorgärten; munkelte man nicht sogar, ich würde stattliche, gutgebaute Schäferhunde stehlen, für meine nächtlichen Orgien? Nun ja, soviel zum Szenario. Ungeachtet meines Rufes war es allerdings nicht meine Idee gewesen, das mit dem Porno, sondern die meiner Freundin Lena; das moderne Leben war kurz zuvor in Gestalt einer winzigen Videothek auch in Volksdorf eingezogen, und dorthinein verschleppte mich Lena. Ich marschierte erhobenen Hauptes hinter ihr her, durch den Vorhang, der die Abteilung mit dem ungeahnt Unanständigen verbarg. Während ich noch in Staunen und Ehrfurcht vor den Regalen verharrte, hatte Lena bereits in Windeseile (machte sie das wirklich zum ersten Mal?) drei Filme ausgesucht, die Nummernkärtchen abgeflückt, mir in die Hand gedrückt, gesagt, sie gucke draußen noch mal, und - husch - war sie verschwunden. Das dies Teil ihres perfiden Planes war, merkte ich erst, als ich sie an der Kasse stehen sah; sie hatte eine unbeteiligte Passantin in ein überlautes Gespräch über die Vorteile von Richard Gere verwickelt, welche auch immer das sein mögen, erklärte auch dem Videoausleihmenschen, wie toll sie Richard-Gere-Filme fände, und machte der Welt unmißverständlich klar, daß sie mich noch nie gesehen hatte, indem sie, ein Richard-Gere-Video wie ein Neugeborenes in den Armen, flugs aus der Videothek verschwand. Die Reihe kam an mich. Der Videoausleihmensch, ein nett anzusehender, blonder Jüngling, den ich durchaus gerne näher kennengelernt hätte, nur nicht grad jetzt und hier, nahm meine Nummernkärtchen entgegen, suchte meine - Lenas! - Filme heraus, und fragte mich süffisant: Einmal Gierige Weiber von vorn, von hinten und von oben, einmal Analinferno III - die Rücckehr des Penetrators und einmal Die Mösenpatrouille, richtig?

Es war, wie gesagt, eine sehr kleine Videothek. Und sie hatte eine gute Ackustik. Trotz all der anwesenden Leute.

Nun, ich bin, wider Erwarten, damals nicht vor Scham tot umgefallen; auch Lena trage ich nichts nach, sie hat sich auf Knien entschuldigt - sonst hätte sie nicht die Pornos gucken dürfen - und zur Strafe habe ich sie dann hinterher noch den Richard-Gere-Film ansehen lassen, zweimal. Das aber, als ich zwei Wochen später zur großen Geburtstagsparty (50ster) meiner Mutter ging, mir, breit grinsend, der blonde Typ aus der Videothek die Haustür aufmachte und sagte, Na, auf Patrouille?; also, das ist etwas, was im wirklichen Leben nicht passiert. Nur in meinem.

Tina Uebel