Sind Sie glücklich?
: „Tango hat viel mit Glück zu tun“

■ 11 Uhr, Alexanderplatz. Für den Argentinier Jorge Hönig ist Glück etwas sehr Vergängliches. Jeder Mensch ist wie ein Tintenfisch in seiner eigenen Tinte

„Sind Sie glücklich?“ will die taz wissen und hört sich täglich um 11 Uhr abwechselnd auf dem Alexanderplatz und dem Wittenbergplatz um.

Der 52jährige Jorge Hönig: Im Moment bin ich glücklich. Aber Glück ist etwas sehr Vergängliches. Es ist unmöglich, daß alle Menschen vollkommen glücklich sind. Es gibt einen sehr schönen französischen Film, in dem ein Mann sehr glücklich ist, weil er vier Frauen hat. Aber leider waren die Frauen nicht glücklich. Daß das Glück des einen das Unglück des anderen sein kann, habe ich erst in Europa kennengelernt, wo das persönliche Glück über den privaten Erfolg empfunden wird. In Lateinamerika, wo nur eine Minderheit privaten Erfolg hat, erfreut sich die Mehrheit an der Gemeinschaft. Hier wirst du als erstes auch nicht gefragt, ob es dir gutgeht, sondern wieviel du verdienst, wieviel Quadratmeter deine Wohnung hat. Alles Dinge, die theoretisch Glück beinhalten, die ich aber nie einen Lateinamerikaner fragen würde.

Gestern war ich in einem Tangolokal. Es ist sehr interessant, daß der Tango für die Europäer wie ein Schmuck ist, für den Latino aber ein Weg, einen anderen Latino zu treffen. Wenn ich unglücklich bin, flüchte ich an solche Orte. Die Tangotexte sind sehr melancholisch. Doch wer traurig ist, identifiziert sich mit den Texten. Deshalb hat der Tango auch mit Glück zu tun, als Gegenstück dazu.

Für einen Latino ist es hier besonders schwer mit der Liebe, die wie ein schwer herzustellender Dialog ist. Jeder Mensch ist wie ein Tintenfisch in seiner eigenen Tinte. Wenn eine fremde Tinte dazukommt, kann es anfangs sehr attraktiv sein, doch dann können Kämpfe zwischen den Kulturen entstehen. Es ist sehr schwer, außerhalb seines eigenen Landes König zu sein. Barbara Bollwahn

Heute stehen wir auf dem Wittenbergplatz.