Der Hauptmann ist höflich

Und der verrückte Greis hütet die Flamme: „Isiklar Sönmesin“ („Löscht das Licht nicht“), ein unprätentiöser Antikriegsfilm des türkischen Regisseurs Reis Celik im Eiszeit-Kino  ■ Von Daniel Bax

Ein Antikriegsfilm aus der Türkei weckt zwangsläufig hohe Erwartungen. Schon allein, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sehr der schier endlos währende Konflikt im ehemaligen Kurdistan ein Krieg ohne Bilder geblieben ist. Zahlreiche Berichte, aber nur sehr wenige Fotos oder Filmaufnahmen gelangen unzensiert nach außen und vermitteln eine Ahnung des tatsächlichen Geschehens. Was bleibt, sind die Zahlen über getötete „Terroristen“ und das Wissen um die Kosten der Kriegsmaschinerie, derweil immer mehr Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten in die Großstädte im Westen der Türkei ziehen.

Genau dies hatte der türkische Journalist Reis Celik mit seinem ersten Spielfilm im Sinn, nämlich „alle Ausgaben des Staates für den Krieg realistisch wiederzugeben. Für den Krieg im Südosten wird täglich rund eine Trillion Türkische Lira ausgegeben. Ich wollte zeigen, was das dem Land gebracht hat“, erklärte er im vergangenen Jahr dem Kino-Magazin Antrakt. Doch weil ihm das Mieten von Armeegerät nur nach Vorlage des Drehbuchs erlaubt worden wäre, verzichtete er auf die geplanten Szenen mit Militärhubschraubern, Jeeps und echten Waffen und schimpft: „Unter diesen Bedingungen kann man kein freies Kino schaffen.“ „Isiklar Sönmesin“ ist somit ein leiser, unprätentiöser Film geworden. Ein Kammerspiel in den Bergen. Wahrscheinlich hat ihm das gutgetan.

Ein Bus auf dem Weg in die nächste Stadt windet sich durch verschneite Berge, wird unerwartet von einem Guerilla-Kommando überfallen. Die Passagiere, alles alte Männer, werden zum Aussteigen gezwungen, ein junger Mann versucht, sich im Bus zu verstecken. Er steht, wie sich herausstellt, als Dorfschützer im staatlichen Sold und wird vom Rebellenchef zur Rede gestellt. Mehr versehentlich wird der Junge erschossen, als er zu fliehen versucht. Die Guerilla-Truppe tritt zerknirscht den Rückzug an.

Bald schon heftet sich eine Patrouille an die Fersen der Partisanen und stürmt in GSG-Manier den Berg, auf dem sie die Flüchtigen vermuten. Doch als die Soldaten die Gruppe eingeholt haben und ihr in einem Hinterhalt auflauern, verliert ein Soldat die Nerven und feuert zu früh los. Das anschließende Gefecht löst eine Lawine aus, die alle Beteiligten unter sich begräbt. Einzig Hauptmann Murat und Seydo, der Rebellenchef, überleben unversehrt. Seydo buddelt die verletzte Mitstreiterin Zozan aus dem Schnee und trägt sie auf den Schultern zu einer Höhle, wo sie einen trockenen Rastplatz finden. Dort werden sie schließlich vom Hauptmann Murat eingeholt.

Leider gelingt es dem Regisseur nicht, aus dieser Begegnung mehr herauszuholen als einen plakativen Schlagabtausch zwischen den vorhersehbaren Positionen der beiden. Hier der aufrechte Soldat, selbst möglicherweise ein Kurde, da er aus Ardahan stammt (dem Geburtsort des Regisseurs), ein Ausbund an Höflichkeit, der den Separatismus der Rebellen verdammt. Dort der sympathische Partisan, der das Unrecht anprangert, das seinem Volk angetan wird. Im Verlauf des Disputs stirbt die verletzte Zozan, die Moral kommt am Ende ein wenig abrupt: Als der Hauptmann mit seinem Gefangenen in ein verlassenes, ausgebranntes Dorf im Tal gelangt, treffen sie dort auf einen offenbar verrückten Greis, der alleine mit seinem verängstigten Enkelkind in den Trümmern ausharrt und die Flamme hütet. „Löscht das Licht nicht“, wiederholt er gebetsmühlenhaft, daher der Titel des Films. Die Verantwortung für das Klima der Angst und der Gewalt, das die Gegend unbewohnbar gemacht hat, gibt er beiden, dem Soldaten wie dem Rebellen.

Diese undifferenzierte Gleichsetzung von staatlicher Gewalt mit dem Widerstand mag problematisch sein, aber dem Regisseur ging es weniger um eine Analyse der Ursachen des Kriegs als um eine exemplarische Geschichte, um seine humanistische Botschaft zu transportieren.

Anderthalb Monate dauerten die eigentlichen Dreharbeiten zu „Isiklar Sönmesin“ in den Bergen zwischen Erzurum, Erzincan und Baburt. Mit einem Budget von rund 200.000 Mark und ohne Zuschuß staatlicher Stellen wäre der Film kaum ohne Mithilfe der örtlichen Bevölkerung zustande gekommen. Die war dem Projekt gegenüber aufgeschlossen. „Jeder hat entweder einen Verwandten bei den Guerillas, im Militär oder unter den Getöteten. Daher sind alle sehr sensibel.“

Letzten Herbst erhielt er einen Preis beim Filmfest in Antalya, 400.000 Zuschauer haben „Isiklar Sönmesin“ gesehen. Die Rechte an dem Film kaufte der Privatsender Interstar TV. Ausgestrahlt wurde er bisher jedoch noch nicht.

Ab heute in der Originalfassung im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20