Alles tot bei T-Ohneline

■ Mit neuen Glasfaserleitungen, mehr Einwählknoten und neuer Software wollte die Telekom schnelle Internetverbindungen schaffen. Nun geht fast nichts mehr

Eine Sensation schien bevorzustehen. T-Online, Europas größter Onlinedienst, wollte endlich auch Europas schnellster werden. Doch nun verweigern die Einwahlknoten einem großen Teil der 1,6 Millionen Kunden den Zugang. Nichts geht mehr – weder das Internet ist erreichbar noch der T-Online-Dienst, über den sehr viele Kunden ihre Bankgeschäfte abwickeln.

Schadenersatzforderungen stehen ins Haus. Beinahe noch schlimmer als das Totalversagen sind die Teilerfolge des neuen Telekom-Systems. Manchen Kunden gelang es gestern nämlich trotz allem, das Internet anzuwählen – aber nur einmal. In Beschwerdebriefen an das T-Online-Forum werden die Probleme geschildert, wenn es tatsächlich mit der Einwahl per Software geklappt hat: „Skriptfehler gleich am Anfang, unter 16 Farben nicht lesbares Hauptmenü, Riesen-Banking-Programm, das nicht funktioniert“.

Oder: „Bis jetzt habe ich nur sage und schreibe EINE Verbindung mit der neuen Software geschafft. Mit der kam ich dann auf den Button „Internet“, drückte ihn und durfte dann Windows95 neu installieren! Ich habe zwar keine Daten verloren, aber mindestens 2 Stunden, bis alles wieder lief.“

Wann der Fehler behoben sein wird, ist noch nicht absehbar. Die Software muß umgeschrieben werden, räumt der T-Online-Sprecher ein. Mit neuester Vermittlungstechnik wollte die Telekom-Tochter „Online Pro Dienste GmbH & Co. KG“ Anschluß an die technischen Standards finden, die das Internet vorgibt. In den 220 Vermittlungsstellen, die bundesweit unter einer einheitlichen Nummer zum Ortstarif erreichbar sind, wurden zusätzliche Rechner aufgestellt, die nach dem Point-to-Point-Protocol (PPP) einen direkten und schnellen Internetzugang ermöglichen sollten.

Ein notorischer Engpaß soll damit beseitigt werden. Bislang mußten Internetverbindungen stets über die T-Online-Leitzentrale in Ulm vermittelt werden, wo ein sogenannter Gateway-Rechner für den Übergang vom einen in das andere Netz sorgt und die notwendigen Konvertierungen vornimmt. Das braucht seine Zeit, und zu Spitzenzeiten waren die Rechner oft hoffnungslos überlastet. E-Mail vom und ins Internet brauchte manchmal länger als mit der gelben Post, und Abrufe von Webseiten außerhalb Deutschlands bescherten den Kunden mitunter nur das berühmte weltweite Warten.

Ein Tanz auf zwei Hochzeiten zugleich

Das alles sollte nun endlich anders werden. Etliche kleine und mittlere Provider arbeiten bereits an eigenen, überall zum Ortstarif erreichbaren Einwahlknoten. In Vergleichstests belegte T-Online beim „Download“, dem Herunterladen von Programmen und anderen Dateien, stets einen der hinteren Plätze, nun stand auch noch der bislang uneinholbare Konkurrenzvorteil außerhalb der großen Städte in Gefahr.

Zwar wäre es für die Telekom keine große Sache gewesen, die Einwahlknoten einfach auf den PPP-Standard umzustellen. Leitungen sind im Überfluß vorhanden, und man hätte, wie bei CompuServe, auch die angebotenen Dienste nach und nach dem neuen Standard anpassen können. Aber unter dem Dach von T-Online (vormals Btx und Datex-J) tummeln sich ein paar tausend Anbieter, die sehr viel Geld in die Entwicklung ihrer Onlinepräsenz nach deutschem Standard gesteckt haben. Diese Investitionen muß die Telekom schützen – selbst wenn ihre Formate „CEPT“ und „KIT“ nicht mehr zeitgemäß sind.

Für die Altkunden lohnt sich der Aufwand. In ein paar Punkten sind die Normen der Telekom dem Internet voraus: Sie erlauben, Geldgeschäfte mit hohem Sicherheitsstandard abzuwickeln, und für die angebotenen Dienste können individuell Gebühren erhoben und über die Telefonrechnung eingezogen werden.

Was in Deutschland schon seit den Zeiten der alten Bundespost erfolgreich betrieben wird, befindet sich im Internet erst noch im Stadium der Erprobung. Damit war T-Online zu dem Spagat gezwungen, alles gleichzeitig und mit konkurrenzfähigen Übertragungsraten anzubieten.

Die Lösung scheint genial: Schon am Einwahlknoten verzweigen sich die Leitungen. Zu den Internetleitungen (dem „Backbone“) hier entlang, die T-Online- Leitzentrale ist dort drüben. Es ist technisch sogar möglich, beide Netze gleichzeitig zu nutzen. Anwender können bei T-Online ein Überweisungsformular ausfüllen, während im Hintergrund eine komplette Webseite in den Browser geschaufelt wird.

Doch Umstellungen dieser Größenordnung sind nie problemlos, und die Telekom unterschätzte die Masse ihrer Kunden. Das System wurde im Vorfeld mit nur ein paar tausend Freiwilligen einem sogenannten Beta-Test unterzogen. Die dafür eingerichteten Knoten befanden sich in Kleinstädten wie zum Beispiel in Fulda. Als die CDs mit der neuen Zugangssoftware jedoch die Kunden in den Ballungszentren erreichten, brach mit einem Schlag alles zusammen. „Die Rechner schmieren einfach ab“, sagte gestern der T-Online- Sprecher am Rande des Nervenzusammenbruchs. Deswegen sind auch die alten Knoten betroffen und akzeptieren die Verbindung mitunter nur nach zahllosen Einwählversuchen.

Mit der neuen Software, die automatisch die neuen Knoten anwählt, ist so gut wie keine Verbindung möglich. Die PPP-Einwahl scheint zwar zu gelingen, doch dann geht es nicht weiter. Da die Bildschirmmeldungen aber einen Fehler des Kunden und nicht des Systems anzeigen, probieren es Geduldige immer wieder und treiben die Telefonrechnung in die Höhe – so verdient die Telekom selbst noch an ihren eigenen Fehlern.

Ohnehin widersprechen die neuen T-Online-Gebühren allen Grundsätzen einer klaren und übersichtlichen Preisbildung. Wer die neue Software (und damit die neuen Knoten) nutzt, zahlt neben den Telefoneinheiten und den acht Mark Grundgebühr einen einheitlichen Zeittakt für Internet und T-Online von 8 Pfennig pro Minute (Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr) beziehungsweise 5 Pfennig (sonstige Zeit).

Damit ist zwar der Internetzugang um etwa dreißig Prozent billiger geworden. Deutlich teurer wird es aber für alle, die T-Online nur zum Homebanking und dergleichen nutzen und dafür gar kein Internet brauchen. Statt wie bisher 6 Pfennig (werktags tagsüber) beziehungsweise 2 Pfennig (alle anderen Zeiten) sind nun ebenfalls 8 oder 5 Pfennig pro Minute fällig. In dem onlinestarken Zeitraum bedeutet das eine Preiserhöhung um das Zweieinhalbfache.

Um Geld zu sparen, sollte man also die alte Version nicht von der Platte putzen, sondern damit bei reinen T-Online-Sitzungen die alten Knoten anwählen – selbst dann, wenn die neuen irgendwann einmal funktionieren sollten. Dieter Grönling

groenling@vossnet.de