Die Schlinge zieht sich zusammen

■ Tod des Exstaatschefs von Kroatisch-Bosnien kommt Zagreb gelegen. In Den Haag hätte Boban ausgepackt

Split (taz) – Als sich gestern die Führungsschicht der kroatischen Nationalisten in dem westherzegowinischen Städtchen Grude traf, war die Stimmung nicht gerade gut. Dies ist nicht nur der Trauer um ihren einstigen Führer Mate Boban geschuldet, sondern auch der Ungewißheit über die eigene Zukunft. Zwar starb der Expräsident des kroatischen Teilstaates Herceg-Bosna, bevor er vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aussagen konnte. Doch seit einige Herrscher der Unterwelt Mostars, wie Mladen Naletelic, von der kroatischen Polizei verhaftet wurden, seit Tihomir Blaškić, der Kommandeur der kroatisch- bosnischen Truppen in Zentralbosnien in Den Haag vor Gericht steht und seit Dario Kordić, der einstmals mächtigste Weggefährte Bobans, sich vor dem Zugriff der internationalen Fahnder verkriechen muß, zieht sich die Schlinge auch um den Hals von vielen anderen immer enger zu.

Die Geheimanklagen in Den Haag und die Aktion der UN-Polizei verunsichern. Und seit selbst die Polizei Kroatiens aktiv geworden ist, wird der Boden für viele zu heiß. In den Cafés der Flanierstraße West-Mostars bleiben viele Stühle leer. Denn die Kriminellen, Exsoldaten der kroatischen HVO, die Geschäftemacher, Waffen- und Drogenhändler sind mit unbekanntem Ziel verschwunden.

Mate Boban starb zwar nach Auskunft der Ärzte des Hospitals in Mostar am vergangenen Montag an Herzversagen, nachdem er wegen eines Gehirnschlages behandelt worden war. Dem 57jährigen Expräsidenten des kroatisch-bosnischen Teilstaates Herceg-Bosna war jedoch vorher nichts von einer Krankheit anzumerken, sagen Informanten aus Mostar.

Seit internationale Kredite für Kroatien wegen der „mangelnden Kooperationsbereitschaft“ in bezug auf die Kriegsverbrecher gesperrt sind, stehe Franjo Tudjman noch mehr unter internationalem Druck, gegen die ehemals hofierte Führungsschicht der Westherzegowina vorzugehen. „Herceg-Bosna wird von Kroatien aus verraten“, hieß es in den vorab veröffentlichten Grabesreden.

Zweifel bleiben bei der Trauergemeinde, ob bei Mate Bobans Tod alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Natürlich gebe es Zufälle und der Untersuchungsbericht der Ärzte sei eindeutig. Doch daß Tudjman der Tod des einstigen Mitstreiters gelegen kommt, liegt auf der Hand. Denn wäre Boban nach Den Haag zitiert worden, wären wohl auch für den Präsidenten unangenehme Dinge zur Sprache gekommen: Wer hat den Krieg im Kriege 1993/94 gegen Restbosnien geplant, wer die ethnischen Säuberungen und die damit verbundenen Verbrechen befohlen?

Der ehemalige Eierdieb und Polizeispitzel Mate Boban war jene Figur, die militärische und politische Aktionen der Kroaten mit den serbischen Extremisten um Karadzic koordiniert hat. Bei seinem Treffen am 6. Mai 1992 mit Karadžić in Graz – Sarajevo war gerade umzingelt worden – ging es um die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas. Die Kroaten forderten die Gebiete westlich der Linie Jajce-Kiseljak, die genau der Grenze von 1939 entspricht. Diese war im Königreich Jugoslawien nach einer Gebietsreform zwischen Kroatien und Serbien auf Kosten der Muslime festgelegt worden. Boban und Karadžić trafen sich mehrmals 1993, um die Aktionen gegen die bosnischen Muslime zu koordinieren.

Kein Zweifel also: der Tod Bobans kommt der Regierung in Zagreb hoch gelegen. Aber auch Radovan Karadžić wird zunehmend nervös. Dies liegt nicht nur an dem Machtkampf mit Biljana Plavšić. Er fürchtet, daß angesichts des internationalen Drucks Slobodan Milošević ihn ebenso fallenlassen könnte, wie dies Tudjman gegenüber den Westherzegowinern tut. Die Aussagen Karadžićs in Den Haag wären für Milošević ebenso unangenehm wie die Bobans für Tudjman. So fürchtet er um sein Leben. Nach Aussagen eines Leibwächters hat er am Dienstag seine Leibgarde ausgetauscht und seinen mit Belgrad abgesprochenen Fluchtplan verändert. Erich Rathfelder