Lobbyistin der Schönen Literatur

■ Erika Werner sorgt in den Bücherhallen als Lektorin für gute Lektüre / Ein Porträt

Schöne Literatur ist ein angenehm altmodischer Name für eine zeitlose Erscheinung. In einer altehrwürdigen, echt hamburgischen Institution, der Zentralbibliothek der öffentlichen Bücherhallen, betreut die Lektorin Erika Werner seit 12 Jahren den Bestand an Belletristik. Kinnlange, mittelbraune Haare, grauer Wollblazer und dunkler Rock, so sitzt sie uns aufmerksam gegenüber. Zwar muß selbst die eingeschworene Literatur-Lobbyistin zugeben, daß die meisten Besucher der öffentlichen Bibliotheken ihren Informationshunger mit Sachbüchern stillen wollen, aber sie betont: „Die Schöne Literatur hat in den Bücherhallen mehr Erfolg als im Handel.“

Dazu hat die engagierte Frau selbst eine Menge beigetragen, nicht zuletzt durch regelmäßige Autorenlesungen in der Zentralbibliothek. Bekannte und weniger bekannte Autoren wurden so einem breiten Publikum nahegebracht. Ganz nebenbei konnte Erika Werner bei diesen Veranstaltungen, die „vor den Regalen“ stattfinden, den Besucherinnen die Belletristik in den Bücherhallen schmackhaft machen. Aber in Hamburg muß gespart werden, und da wollten die Herren Pfennigfuchser auch vor dem Lektorat für Schöne Literatur nicht halt machen. Nur mit einer Denkpause konnte die energische Lektorin verhindern, daß sich Ideen wie Eintritt bei Lesungen und Bürokratisierung von Veranstaltungen durchsetzten. Seit Mitte Mai wird in der Zentralbibliothek jetzt wieder vorgelesen.

Gegen die Pläne der Bürokraten hat sich die Frau mit den blitzenden Augen hinter der Brille so gewehrt, weil sie ihr geschickt geknüpftes Netz aus Kooperation und Goodwill zerstört hätten. So unterstützen Verlage und Institutionen wie der British Council die Lesungen finanziell. Im Gegenzug erhalten sie die Möglichkeit, ihre Schriftstellerinnen und Autoren einem interessierten Publikum zu präsentieren. „Ich sag denen, daß sie unseren Saal, unsere Werbematerialien und meine Arbeit bekommen, und dann klappt das meistens“, beschreibt Erika Werner ihre Art des Fundraisings. Und bei etablierten Verfassern verhandelt die zielstrebige Frau schon mal über einen Autorenrabatt. „Aber wir haben nicht die Absicht, arme Autoren in ihrem Honorar zu kürzen, sondern bitten reiche“, setzt sie hinzu.

Die Organisation von Veranstaltungen gehört eigentlich nicht zu den zentralen Aufgaben der Lektorin, auch wenn sie sie besonders liebt: „Das gibt mir Gelegenheit, endlich mal wieder ein Buch richtig zu lesen, denn ich lese immer noch gerne.“ Ihre Hauptaufgabe ist der Aufbau und die Pflege des Bestands an Belletristik. Dabei verfolgt die 57jährige einen sehr liberalen Ansatz: „Ich denke, es ist sehr wichtig, daß es einen Ort gibt, an dem man Literatur in ihrer ganzen Breite finden kann“, erläutert sie. Und deshalb kauft sie von der simpelsten Unterhaltungslektüre bis zu moderner Lyrik – wie der von Durs Grünbein – einen differenzierten Querschnitt.

Diese Auswahl ist aber zunächst ein Angebot für die Bibliothekarinnen der Bücherhallen. Die entscheiden dann selbständig, was sie aus dem Gesamtangebot für ihre Bücherei haben wollen. „Da gibt es eine ganz starke Tendenz zur leicht lesbaren Schmökerliteratur.“ Bibliothekare müßten eben immer Ausleihzahlen vorweisen können, „und da haben die oft nicht soviel Vertrauen in die Leser“, bedauert die Lektorin.

Ihr Privatleben geht Erika Werner übrigens mit dem gleichen pragmatischen Stoizismus an wie ihr Berufsleben als alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Das faßt sie in dem lapidaren Satz zusammen: „Manche Dinge müssen eben einfach gehen und dann gehen sie auch.“ Iris Schneider