„Komm jetzt mal sofort hierher, Paco!“

Nicht vom Züchter, sondern aus dem Tierheim kommt das politisch korrekte Haustier. Wie's dort aussieht und danach weitergehen sollte, erzählt  ■ Silke Mertins

ie Nummer 43, ein schlaksiger Schwarzer, darf raus. Die Tierpflegerin legt ihm die Leine an und führt ihn an den anderen Zwingern vorbei. Ob dieser Ungerechtigkeit bricht ein ohrenbetäubendes Gekläffe los. Basko, der „Deckenfetzer“, zeigt wütend alle seine Zähne. Der kleine Langhaardackel springt beeindruckende eineinhalb Meter am Gitter hoch. Sein Zwinger-Kumpel, ein Schnauzer, schüttelt unwillig seine Halskrause.

Nur die zehnjährige Kurazc-Hündin Kira, die aussieht wie ein Schaf und dazu neigen soll, andere Hunde zu beißen, blickt ihm klaglos hinterher, als habe sie die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder ein geordnetes Hundeleben mit Auslauf, Revier und Streicheleinheiten zu führen. Ein großer Hund ihres Alters hat wenig Chancen. Die Menschen scheuen den Schmerz, wenn das Tier nach zwei oder drei Jahren stirbt. Der gutmütige Hunde-Senior Leo, ein rotblonder Leonberger-Mischling mit lustigen Kippohren, sitzt auch schon ein Jahr im Tierheim.

Die Jüngeren, die sich womöglich auch noch traurig ans Gitter kuscheln und winselnd nach menschlicher Zuwendung verlangen, bleiben nicht lange im Heim. Der Cockerspaniel Blacky ist eigentlich so einer. Wenn da nur die Warnungen auf der Info-Karte nicht wären: „Zerstört alles, völlig unsauber, markiert an Menschen, geht auf Leute los, bleibt nicht alleine.“Trotzdem, glaubt Tierheim-Chef Wolfgang Poggendorf, wird sich schon jemand, vielleicht ein „Cocker-Liebhaber“, für den Randalierer finden.

Im Schnitt bleiben die Tiere „nur“drei Wochen in der Süderstraße. „Das darf auch nur eine Zwischenstation sein“, so Poggendorf. Die Hunde bekommen keinen Auslauf und ihre Geschäfte müssen sie im Zwinger verrichten. Die PflegerInnen haben keine Zeit, und Ehrenamtliche, die, wie in den Tierheimen anderer Städte, die Vierbeiner ausführen, gibt es nicht. Für außerhalb des Heimgeländes „haben wir keine Haftpflichtversicherung“. Für die etwa 16 Hunde, für die sich schon jahrelang niemand findet und „die uns ans Herz gewachsen sind“, sollen bald große Gehege geschaffen werden, in denen sie in Rudeln zusammenleben können.

Wieder bricht im Hundehaus der Teufel los. Conny darf raus. Erwartungsvoll schaut sich die zweijährige Mischlings-Schäferhündin die beiden Menschen an, die sie nun an die Leine nehmen, und schnüffelt aufgeregt im Gras herum. „Die ist ganz schön aufmerksam“, sagt Marion Pichinot zu ihrem Mann. Die beiden sind aufs Land gezogen und suchen einen Hund, „der nicht so massiv verhaltensgestört ist“. Auf die Pflegerinnen sind sie gut zu sprechen, „die haben uns sehr ehrliche Auskünfte gegeben“. Die drei schlendern übers Gelände, dann steht fest: Conny zieht nach Escheburg um.

Nicht immer fällt die Entscheidung so leicht. Ein typischer Heimfall ist Chuck: Der Welpe war knuffig, aber als der Pitbull heranwuchs, wurde der Besitzer nicht mehr mit ihm fertig. Viele Tierheimhunde sind von der Sorte „Fällt Spaziergänger von hinten an“.

„Der Hund ist ein Rudeltier“, sagt Poggendorf, „man tut dem Tier keinen Gefallen, wenn man es vermenschlicht und es nicht weiß, wo sein Platz ist.“Also: Unterordnung. Kommen Paco, Biggi oder Senta ins Haus und will man sich mit dem kräftigen Gebiß des erwachsenen Hundes nicht gleich anlegen, kann die Rangordnung auch auf subtile Weise klar gemacht werden. Erstens: Der Hund frißt grundsätzlich nach den Menschen (den „Alpha-Tieren“). Zweitens: Der Hund geht nie zuerst durch die Eingangstür. Drittens: Nicht um den Hund herum gehen, wenn er im Weg liegt. Er soll Platz machen. Viertens: Das Futter in kleinen Portionen geben, dann nachschütten. Später den Napf wegnehmen und erneut Futter geben. So verbindet der Hund den weggeschnappten Napf mit mehr Fressen. Denn langfristig sollte Herrchen oder Frauchen jederzeit ohne Knurren ans Futter können. Verhallt der verzweifelte Ruf „Komm sofort hierher, Paco!“ungehört, empfiehlt sich eine Grundausbildung (siehe unten).

Mit Katzen ist es meist ungleich einfacher. „Die leben sich recht schnell ein“, sagt Hannelore Hischer. „Katzen sind sehr lernfähig und passen sich an.“Seit 22 Jahren arbeitet sie im Tierheim und weiß interessierte KatzenliebhaberInnen vorzüglich zu beraten. Sogar Ein-äugige und solche mit nur drei Beinen lassen sich vermitteln, „meist an junge Menschen“. Sorgenkinder sind auch in ihrem Katzenhaus die älteren Tiere ab acht Jahren, „obwohl Katzen oft 20 Jahre alt werden“.

Kommt die Katze ins Haus, empfiehlt sie: die neue Mitbewohnerin an der Katzentoilette rauslassen, damit sie Bescheid weiß. Zimmer, in die Katze nicht rein soll, von vornherein verschließen. Oft zieht sich der Neuankömmling erst einmal tagelang zurück. Nicht die Geduld verlieren und hervorzerren, sondern ihren Namen rufen, damit sie sich an die neue Stimme gewöhnt. Sogar Unsauberkeit legt sich bei ausreichender Aufmerksamkeit und mit steigendem Wohlbefinden meist von selbst. „Man muß der Katze nur Zeit lassen.“

Und wenn man im Tierheim nicht fündig wird? Vorsicht! Hinter manchen „alternativen“Heimen verbirgt sich Tierhandel schlimmster Sorte. Auch auf den ersten Blick „seriös“wirkende Züchter bieten keinen Schutz vor Welpenhandel aus Osteuropa; manche geben ihre Hunde als Elterntiere aus. Zuchtverbände wissen meist um windige Tiervermehrer und geben Empfehlungen. Wer einen Hund oder eine Katze direkt vom Vorbesitzer übernehmen möchte – etwa aus der Zeitung –, sollte auf jeden Fall auf Impfpaß und einer ärztlichen Untersuchung bestehen.