Japanische Schüler als Standortfaktor

■ „100 km Bremen“mit der Touristikzentrale – eine Stadtrundfahrt für Hartgesottene

Alltagsgeschichte und das Konzept der oral history, der Geschichte von unten, lehren uns seit geraumer Zeit eine Neugewichtung der Realitäten: Haupt- und Staatsaktionen sind nicht DAS Leben. Durchgedrungen ist diese Kenntnis vom Unten längst nach oben, zum Beispiel zur Touristikzentrale (BTZ) der Stadt. So bietet die BTZ schon seit einigen Jahren die viereinhalbstündige Mammut-Stadtrundfahrt „100 km Bremen“für alle hartgesottenen AusdauerkünstlerInnen an, die Industrie, Verkehr, Bil-dungswesen, Kunst und Geschichte der Stadt gleichrangig nebeneinanderstellen.

650 km Radweg sind genauso erwähnenswert wie das Entstehungsdatum der Rathausfassade 1612, die zehn Biersorten von Beck sind den nur vier zählenden Bremer Stadtmusikanten sogar vorzuziehen. Das Gründungsdatum der Rhododendrongesellschaft oder der Galopprennbahn sind für das, was man Lebensqualität nennt, nicht weniger wichtig als die Geschichte der Böttcherstraße.

Selbst die Jugendkultur wird nicht ausgeblendet. Solch ein demokratisches, weltoffenes „Laßt-1000-Blumen-Blühen“-Bewußtsein kulminiert dann im einem auf Schwingen der Sympathie getragenen Hinweis auf die „schrillen Wandgemälde“des Schlachthofs. Das ist ein Kulturzentrum, erfährt man. Richtig gründlich informiert über die Bremer Jugendkultur ist man – bei allem guten Willen – trotzdem nicht, geschweige denn über die Graffiti-Szene der Stadt.

Dasselbe mit der Industrie. Ein wenig hintergrundlos wird die Geschichte der großen Unternehmen abgehakt. Mit dem Hafen, da gäbe es jetzt ja einige Probleme, erfährt man vor einem von Schiffen leergeputzten Hafenbecken. Andererseits wieder farbige Details: Die Anwohner der Mercedeswerke würden deren Just-in-time-Produktionsweise verfluchen: ununterbrochener Lieferverkehr. Oder: Die Busfahrer wären so glücklich über die Schüler des japanischen Internats – sie sind so ungewöhnlich brav.

Trotzdem deutlich zu merken: Die Domäne der hiesigen StadtführerInnen ist die klassische Kunst und Geschichte. Wirtschaftshistoriker oder Insider der Sozialämter hat man für die Konzipierung der Tour nicht zu Rate gezogen. Übrigens rezitieren die netten Wegweiser keine vorgefertigten Texte, sondern entwerfen ad hoc, immer auch ein bißchen auf das jeweilige Publikum zugeschnitten, ihr eigenes Bremen-Bild, allerdings entlanghandelnd an Vorgaben der BTZ.

Und eine davon heißt laut Peter Siemering, seit Juni BTZ-Geschäftsführer: „Wir wollen für unsere Stadt werben. Das ist zwar keine Verkaufsfahrt, wo Häkeldeckchen verscheuert werden, aber wir wollen ein positives Bild unserer Stadt entwerfen.“Und so hört man von einem Pilotenausbildungszentrum, das eines der besten der Welt sei und Flugkapitäne aus China und Taiwan unterrichtet, von einem Dasa-Werk, das zusammen mit München an Ariane und Columbus bastelt. Und plötztlich sieht man Bremen als Nabel der Welt, vernetzt mit Übersee, Mars, Jupiter...

Dabei liegt Bremen, was die Einwohnerzahl anbelangt, nur an zwölfter Stelle der bundesrepublikanischen Charts. In Sachen Übernachtungszahlen ist die Stadt gar nur sechzehntplaziert. Die pure Herausforderung für Siemerings Ehrgeiz. Mindestens auf den zustehenden 12. Platz will er die Stadt hieven. Mit einem Pauschalreisekatalog (etwa Worpswede, Shakespeare-Musical und Roland in drei Tagen) will er Bremen für Reisebüros leichter buchbar machen. Und mit Stadtrundfahrten für nervige Presseleute will er die touristischen Angebote auch für die eigenen Bürger bekannter machen. Soviel Aufopferung muß belohnt werden. Also: Buchen und mitfahren durch Nebenstraßen, Marschen, Gewerbegebiete. Im Angebot sind übrigens auch Führungen durch den Ratskeller, durch die Bremer Sagenwelt und die Geschichte der Hansestadt. Und freuen wir uns dann schon auf die erste architek-turkundliche Besichtigung sämtlicher McDonalds-Filialen oder eine Erkundung der Parkbank-Kultur. Es gibt noch viel zu entdecken in dieser Stadt. bk