Schöne Frauen würdigen Alters

■ Hammoniale: Ea Sola zeigt auf Kampnagel vietnamesischen Tanz in „Dürre und Regen“

Hut ab vor diesen Frauen. 13 Bäuerinnen aus dem Norden Vietnams und die in Paris lebende Choreographin Ea Sola beeindruckten am Dienstag auf Kampnagel mit der deutschen Erstaufführung von Dürre und Regen, einer Choreographie in der Tradition des nordvietnamesischen Volkstheaters Hat Chéo. Begleitet wurden die Tänzerinnen, von denen keine jünger als 50 ist, von zwei Sängerinnen, einem Sänger und vier Musikern.

Der Abend beginnt geheimnisvoll. Eine asiatische Berglandschaft im Morgennebel verdeckt den Blick auf die Bühne. Ganz allmählich kommt Leben in die Szene, und die Tänzerinnen schieben sich zwischen den Bahnen des Bühnenbilds in den Vordergrund. Jede von ihnen trägt dabei zwei lebensgroße Pappfiguren, deren Gesichter im Stile der populären „Truyen Than“- Portraitmalerei an Totenbilder erinnen. Während sich die Bildbahnen heben und den Blick auf den leeren Bühnenraum freigeben, tritt eine Sängerin aus dem Chor der Tänzerinnen hervor und besingt das bäuerliche Leben in seiner Abhängigkeit von Regen und Sonne. Der Kampf zwischen diesen beiden mächtigen Kräften war das durchgängige Thema des Stücks. Lieder nach Texten des zeitgenössischen vietnamesischen Lyrikers Nguyen Duy, Tanz und darstellendes Spiel wechselten sich dabei ab.

Im Mittelpunkt standen die Tänzerinnen, die präsent und konzentriert bei der Sache waren. Obwohl sie mit ihren hochgesteckten Haaren, in weiten schwarzen Hosen und einer weißen Jacke alle gleich gekleidet waren, wirkte doch jede der Frauen als Individuum. Die ruhigen, meditativen Bewegungen führten sie präzise und mit natürlicher Würde aus. Ihr schwieriges Leben, in einem vom Krieg stark erschütterten Land konnte man den Tänzerinnen am Gesicht ablesen. Und doch tanzten sie mit erstaunlicher Grazie und Behendigkeit.

Die Choreographin Ea Sola verband traditionelle Tänze und abstrakte räumliche Bezüge so spannungsvoll, daß es zwischen Bühne und Publikum zu knistern beginnt. Ihre subtilen Mittel schaffen atmosphärisch dichte Bilder – etwa in der Szene, in der sich die vorher ernst blickenden Frauen nach und nach zum Publikum umwenden und ein strahlendes Grinsen aufsetzen. Da kommt für einen Moment die Frau vom Lande in ihnen zum Vorschein, die den Fremden nach reiflicher Prüfung offen willkommen heißt. Oder wenn die Frauen ihr Haar lösen, wie junge Mädchen. Nur ihre Rücken und die langen Haare sind von den Frauen zu sehen. Ohne ihre Gesichter zu zeigen, tanzen sie im Kreis so kraftvoll und ungebändigt, als wären sie tatsächlich noch jung.

Iris Schneider