Fräsen im öffentlichen Raum

■ Die Künstlerin Ute Heuer durchfräst eine Litfaßsäule und enthüllt den Tiefgang der Werbung

Seit gestern ist es bewiesen: Werbung ist keineswegs nur eine oberflächliche Angelegenheit, sondern verfügt über echten Tiefgang. Wenn auch nur über einen von etwa sechs Millimetern. So weit nämlich hat sich die hannoveraner Künstlerin Ute Heuer mit einer Fräsmaschine in die Plakatschichten einer Litfaßsäule am Hillmannplatz gegraben.

Gesponsert von der Deutschen Städtereklame und gefördert vom Kulturamt Hannover sowie der Bremer Kulturbehörde hat sie die zuvor mit braunem Packpapier übertapezierte Werbefläche mit kreisförmigen Bildern versehen, die sie mittels Bohrmaschine und Drahtbürstenaufsatz aus den über Jahre aufeinandergeklebten Plakaten als vielfarbige, teils mit Buchstabenfetzen gespickte Reliefs herausarbeitet. Eine unspektakuläre aber dennoch überzeugende Auseinandersetzung mit den Sehgewohnheiten der Konsumwelt, von der sich die vorbeiflanierenden Passanten zu den unterschiedlichsten Reaktionen veranlaßt sehen.

Während in Hannover – nach Braunschweig die zweite Station der Kunstaktion – einige gleich die Polizei rufen wollten ob solcher „Sachbeschädigung“, attestiert die Künstlerin dem Bremer Publikum ein besonders engagiertes Interesse an ihrer Arbeit. Und das geht so weit, daß eine zufällig am Ort des Geschehens vorbeikommende ehemalige Sekretärin spontan ihren Fotoapparat holt und damit wiederkommt, um die Aktion voller Begeisterung für sich privat zu dokumentieren. Während sie dies tut, kommt sie gleich noch mit einem Jugendlichen ins Gespräch, der sich darüber mokiert, wofür das Ganze denn gut sein soll, woraufhin sie zurückfragt: „Warum muß denn immer alles für was gut sein?“

Die Künstlerin jedenfalls kann zufrieden sein, ist damit doch ihr Anliegen, „die Ideale der Werbebranche zu hinterfragen“schon am ersten Tag beim Publikum angekommen. Besser noch als in Bremen freilich funktionierte dies vermutlich bei den vorangegangenen Aktionen in Braunschweig und Hannover. Denn während hier die zur Kunstskulptur mutierte Litfaßsäule allein auf weiter Flur zu sehen ist, waren es dort zweidimensionale Werbeflächen in unmittelbarer Nachbarschaft konventioneller Plakate, die den Kontrast zwischen Kunst und Kommerz ganz direkt sichtbar machten. Dennoch: Das Werk auf dem Hillmannplatz lohnt allemal, denn die kleinen, teils wie Satellitenbilder von der Erdkugel wirkenden Kreise sind nicht nur optisch, sondern auch haptisch ein Genuß. Man sollte also unbedingt ganz nah an diese Ausfräsungen rangehen und sie auch anfassen, um die „Malerische Materialuntersuchung“– wie das Projekt im Untertitel heißt – im buchstäblichen Sinne zu begreifen. Dann nämlich enthüllt sich der Tiefgang der Werbung als das, was er ist: Ein bloßes Konglomerat aus Farbe, Form und Papier. Moritz Wecker

Ute Heuser, „Vertiefungen in Werbebotschaften“noch bis 31.7. am Hillmannplatz. Anschließend erscheint eine Dokumentation