Zum Geburtstag beim Schienbeintreter

■ Disneyland contra Lustprinzip: Die Architektenkammer feierte Wortwechsel

In scharfer Form hat der Präsident der Bremer Architektenkammer, Wilfried Turk, gestern die Bremer Stadtentwicklung kritisiert. „Die moderne Stadtentwicklung fördert einen Exodus der Stadt aus sich selbst in die Parks und Center von Ocean über Weser bis Hanse“, sagte Turk bei der Feier zum 25jährigen Jubiläum des Verbandes. Die Verantwortlichen flüchteten sich „in einen Märchenwald rettender Strohhalme und ungeheurer öffentlicher Subventionen“, fuhr der Kammer-Chef fort, ohne den Senat oder die geplanten Großprojekte Ocean- und Space-Park direkt beim Namen zu nennen. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und Bausenator Bernt Schulte (CDU) wiesen diese Vorwürfe später in ihren Grußworten zurück. „Man muß die Lust an den Projekten wecken. Doch ich habe bei Herrn Turk das Gefühl, daß er den Leuten lieber vor's Schienbein tritt“, ließ Scherf die über 200 Festgäste wissen.

Doch glaubt man Turk, kann einem Architekten die Lust vergehen. Der Berufsstand steht mit seinen Ansichten und Zielvorstellungen mehr und mehr außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses, klagte der Präsident der Kammer, der in Bremen rund 900 freiberufliche, angestellte oder verbeamtete ArchitektInnen angehören. Die Stadt, will sagen ihr Zentrum „degeneriert langsam aber sicher zum Freilichtmuseum, mutiert eines Tages mit etwas Glück zur Touristenattraktion Erlebnispark Stadt designed by or like Walt Disney oder verschwindet ganz“. Schlimmer noch: Die Gesellschaft als Verbraucher von Architektur und Städtebau folge diesem Trend; „Werte und Zielvorstellungen einer ganzen Architektenschaft werden überrollt“.

Hinzu komme die „Deregulierung“, die aus dem Wettbewerb einen reinen Preiswettbewerb mache: „Marktbedingungen werden einseitig zugunsten von Kapitalkonzentration und Trustbildung durch Vorgaben der europäischen Wirtschaftspolitik verbessert“– FreiberuflerInnen und klein- und mittelständische Betriebe „bleiben auf der Strecke“. Und weiter: Die allgemeine Ratlosigkeit sei mindestens so groß wie die Zahl der gehandelten Patentrezepte, die immer öfter Halbwertszeiten eines einzigen Wahlkampfes hätten, ließ Turk die weder hörbar amüsierten noch empörten ZuhörerInnen wissen. Die Folge: „Wir werden mehr als nur unser Jubiläumsjahr brauchen, um unseren Standort zu klären und fundierte Positionen zu erarbeiten.“

Der Senat hat da ein anderes Zeitmaß. Henning Scherf, der die lange Standortsuche kurzerhand auf Widersprüche innerhalb der freiberuflichen und angestellten Architektenschaft zurückführte, gab sich wie gewohnt als Aufbruchsprophet: „Wir müssen Lust wecken – Lust auf Investitionen.“Bei allem „Ärger über so viel Beton“sollte man eines nicht vergessen: „Man darf ohne Architekten nicht so viel Beton in die Gegend gießen.“Sowohl Scherf als nach ihm auch Schulte widersprachen Turks Wirtschafts- und Wirt-schaftspolitik-Kritik und versicherten den anwesenden ArchitektInnen mit warmen Worten ihre Freundschaft. Applaus. Vorhang.

ck