Mit dem Rücken zum Hausboot gegen die Liebe

■ Juli in Berlin: Der ganze Tiergarten ist in der Hand der Raver. Der ganze Tiergarten? Ein kleines Dorf trotzt den Invasoren: Make love – not Scheiß

Michael Haberkorn ist ein friedliebender Mensch. Eine Waffe hat er nie in den Händen gehalten, die Hälfte seines Lebens hat er sich für Abrüstung eingesetzt. Doch nun, so der Bündnisgrüne, müsse er zum erstenmal in seinem Leben aufrüsten: für die Love Parade, die just an der Anlegestelle seines Hausbootes nahe dem S-Bahnhof Tiergarten vorbeidröhnt und die die Wildpflanzen seiner Uferböschung nun existentiell bedroht.

Zusammen mit einigen Nachbarn hat Haberkorn sich deshalb generalstabsmäßig auf die Raver vorbereitet: Gestern rammten die Hausbootbesitzer einen Bauzaun eigenhändig in die Erde vor den Grünstreifen zu ihren Anlegestelle. Rund zweihundert Meter, versehen mit rot-weißen Bändern und Plakaten: „Make love – not Scheiß... schon gar nicht in die Büsche.“ Dazu ein gekreuzter Totenschädel mit dem Kommentar: „Böser Pirat“.

Im vergangenen Sommer hatte die Love Parade die kleine Kolonie der Hausbootbesitzer kalt erwischt. Damals hatte der Techno- Zug nicht nur Haberkorns braunes Holzboot, die Rosa L., zum Schaukeln gebracht und seinen Kater Emil für Tage traumatisiert. Schlimmer noch: Zigtausende von Ravern, getrieben von einem allzu menschlichen Bedürfnis, stürmten den wildbewachsenen Vorgarten der Anlegestelle. Die Brennesseln, die vereinzelten Rosenbüsche, die kleine Stiege, die zum Boot hinunterführt – alles zertrampelt, zerstört und bedeckt von einer Schicht Ausscheidungen, in fester und flüssiger Form.

Noch härter traf es Haberkorns Nachbarn Martin, dessen Hausboot zwei Meter weiter auf dem Arm des Landwehrkanals unter Trauerweiden schaukelt. Dessen Geranien, Sonnenblumen und Begonien, monatelang in Tontöpfen herangezüchtet, wiesen nach der Love Parade keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Kulturpflanzen auf. Dabei hatte sich Martin zunächst noch tapfer der Raver zu erwehren versucht: erst mit gutem Zureden, dann mit einem Gartenschlauch, der freilich genau den gegenteiligen Effekt erzielte. Begeistert sprangen die Raver hervor und tanzten in der Julisonne unter dem kühlenden Strahl.

„Da schafft man sich sein Kleinod, und innerhalb weniger Stunden ist alles hin“, seufzt Haberkorn, während er versonnen den vorbeiziehenden Enten nachblickt. Zehn Jahre wohnt er nun hier auf der Rosa L., umspült vom Wasser des Landwehrkanals, mit Blick auf Trauerweiden, Birken und eine alte Brücke. Daß diese Idylle ausgerechnet die erste Grünfläche nach Start der Love Parade vom Ernst-Reuter-Platz ist und daß die Raver hier im Schatten der Bäume gerne ihrem Bedürfnis nachgehen, ist nun Haberkorns Verhängnis. Für die Tanzenden bringt der sozialpolitische Sprecher der Bündnisgrünen dabei noch Verständnis auf, nicht aber für den Organisator planetcom. Besonders erbittert es ihn, daß die Veranstalter, „die mit ihrer Parade Geld scheffeln ohne Ende“, weder ihm noch seinen Nachbarn im letzten Jahr auch nur einen Pfennig gezahlt haben. Doch da die Uferböschung ihnen nicht gehört, sondern lediglich von der Bundesschiffahrtsgesellschaft zur Nutzung überlassen wurden, können sie nicht klagen.

Auch in diesem Jahr ignorieren die Veranstalter wieder die Kolonie der wehrhaften Hausbootbewohner. Schon vor Monaten hatten diese planetcom gebeten, ihnen zum Schutz einen Bauzaun aufzustellen. Drei Briefe blieben unbeantwortet.

Ob die Aufrüstung mit Bauzäunen und Plakaten in diesem Jahr viel helfen wird, weiß der bündnisgrüne Sozialpolitiker nicht. Schließlich ist der Bauzaun nur aus Draht – die Gefahr, daß Raver durchpinkeln, besteht nach wie vor. „Ein Bretterzaun wäre sicher besser gewesen“, meint Haberkorn grinsend, während an der Terasse seiner Rosa L. ein Polizeiboot vorbeituckert: „Mit Pissoirs, deren Abfluß direkt den Pinklern entgegenkommt.“

Pläne zum Schutz der grünen Uferböschung hatten er und seine Nachbarn schon viele: mal überlegten sie, Wachleute mit Hunden zu mieten, erbarmten sich dann aber der Tiere. Ohne physischen und psychischen Schaden hätten die wohl kaum die 180 Beats pro Minute ausgehalten.

Trotz aller minutiösen Planungen kann Haberkorn, kommt es hart auf hart, wohl kaum seinen Wildgarten vor den Massen trunkener Tänzer schützen. Dennoch wollen er und seine Nachbarn heute mit möglichst vielen Freunden auf ihren Hausbooten ausharren. „Zumindest können wir Präsenz zeigen“, glaubt Haberkorn. Letztlich bleibt ihm nur das Prinzip Hoffnung. Und mehrere Flaschen Prosecco, die er dann halt schon mittags unter dem Dröhnen der Techno-Bässe öffnen wird. Gudula Hörr