Dem Mainstream geht die Luft aus

Wenn heute eine Million Raver im Viervierteltakt zappeln, beginnt der Rand der Szene wieder zu experimentieren – mit ungeraden Beats und Paraden, die man sich nehmen kann  ■ Von Tobias Rapp

Nach der diesjährigen Love Parade wird nichts mehr so sein, wie es vorher war. Das E-Werk, der bekannteste Technoclub der Stadt, wird seine Pforten schließen, das ehemalige Szene-Zentralorgan Frontpage gibt es schon seit einigen Monaten nicht mehr. Sowohl der Club als auch das Magazin waren mehr als Symbole der Technobewegung: Ihre Macher waren auch die Organisatoren der Love Parade. Wenn das Veranstaltungsmagazin Flyer nun in seiner aktuellen Ausgabe Gaubwürdigkeit statt Glamour fordert, kündigt sich ein Generationenwechsel an. Die alte Garde tritt ab, und was an deren Stelle tritt, ist offen.

Nur eins ist sicher: Die Love Parade 97 ist die erste Love Parade nach dem Sell-out. Zwar haben die Diskussionen der letzten Jahre über den Ausverkauf der Technobewegung dieses Jahr zur Hate Parade geführt, doch läuft die eigentliche Veränderung jenseits der Fronten Kommerz versus Idealismus. Der Paradigmenwechsel kündigt sich an den Rändern an, dort, wo die geraden Technobeats zu langweilig geworden sind. Dort, wo die Love Parade ähnlich begriffen wird wie der Kreuzberger Karneval der Kulturen: als Straßenparade, die man sich nehmen kann. Dieser Einbruch der musikalischen street culture in den Technobetrieb kündigt sich dieses Jahr an. Denn zumindest im Beiprogramm des Partywochenendes haben andere Rhythmen Einzug gehalten. Die Love Parade verliert ihren Charakter als Leistungsschau der Techno- und House-Szene.

Das heißt allerdings noch lange nicht, daß der durchschnittliche Raver nicht auf seine Kosten kommen würde. Rein quantitativ beherrscht der gerade Vierviertelbeat das Feld. Für die amtliche Techno-Abfahrt ist auch dieses Jahr gesorgt, wie in den Jahren zuvor. Ein halbes Dutzend Adressen lockt mit hochkarätigen und relativ austauschbaren DJ-Line-ups. Doch ob man in die Kulturbrauerei, die Arena oder ins BKA-Zelt auf dem Kulturforum geht, es finden sich überall die gleichen Namen, ein eigenes Profil der Partys ist nicht auszumachen.

Daß die größte Party, der Paradise-Rave in der Max-Schmeling- Halle, abgesagt wurde – offiziell wegen Schwierigkeiten mit der Lizenz, inoffiziell wegen des schleppenden Kartenvorverkaufs –, sehen die anderen Veranstalter nicht nur mit Schadenfreude. Jeder weiß, daß noch mehr Partys floppen werden. Hinter vorgehaltener Hand klappern die meisten Partyorganisatoren mit den Zähnen. Die Balance zwischen den teilweise astronomischen DJ-Gagen, dem Preis für eine fette Anlage und einem erschwinglichen Eintrittspreis werden einige Veranstalter wahrscheinlich nicht halten können. Abstürze sind vorprogrammiert.

Denn die Zeiten des unbegrenzten Wachstums sind vorbei. Was sich letztes Jahr schon ankündigte, als mehrere Hallen leer blieben, wird sich auch dieses Jahr fortsetzen. Es reicht nicht mehr, ein großes „Techno“-Schild an den Eingang zu hängen, um dann drei Tage lang Geld zu zählen. Nur die wenigsten ziehen allerdings Konsequenzen.

Die wenigsten Sorgen müssen sich so die Veranstalter machen, die eine Alternative zu dem gängigen Programm anbieten. Zwei Veranstaltungen heben sich hier stilsicher vom Rest der Partys ab: die hard:edged-Party in der Halle am Flutgraben an der Spree und das DJ-Culture-Festival im neuen Yaam in der Cuvrystraße, einige hundert Meter von der alten Location an der Spree entfernt.

Hard:edged präsentiert mit Metalheadz aus London das stilprägende Drum-'n'-Bass-Label und gibt damit endlich Gelegenheit, die sagenumwobenen DJ-Künste des Jungle-Godfathers Grooverider bewundern zu können. Auf der zweiten Tanzfläche spielt mit Chainreaction das stilbildende Berliner Technolabel. Jenseits einer Beliebigkeit der großen Namen verläßt sich die hard:edged- Party auf zwei funktionierende Szenen: London und Berlin – represent, represent.

Anders das DJ-Culture-Festival im Yaam. Hier setzen die Veranstalter eher auf einen übergreifenden Gedanken. Ähnlich den Jugendmusikfestspielen in der Volksbühne vor zwei Monaten ist jeder Tag einer Musikrichtung gewidmet: Freitag HipHop, Samstag Drum'n'Bass, Sonntag Techno. Nebenbei kann aber auch Skateboard gefahren, können Filme geguckt oder Platten gekauft werden.

In einem wird sich die diesjährige Love Parade allerdings nicht von den vergangenen und den kommenden unterscheiden. Die eigentliche Party wird auf der Straße abgehen. Wer Samstag morgens gegen vier auf der Leipziger Straße an der Ecke zur Wilhelmstraße um die voll aufgedrehte Anlage eines Autos herumtanzt, während die Polizei die Straßen gesperrt hat, weil Tresor und E-Werk wegen Überfüllung geschlossen haben – dem ist der Musikstil egal. Hauptsache, es pumpt. Tobias Rapp