Im Patchworkverfahren zum Job

■ Für Akademiker wird der Weg zu einem Normalarbeitsverhältnis immer schwieriger. Schlecht belohnte, unqualifizierte Jobs und Zwangsteilzeit verschleiern Arbeitslosigkeit

Nachdem die dreißigste Bewerbung wieder im heimischen Briefkasten landete, hat Claudius Mahler (Name von der Red. geändert) langsam den Mut verloren. Der Diplompolitologe hatte sich ein halbes Jahr lang auf alle in seinem Berufsbereich relevanten Jobs beworben: Als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent oder Sachbearbeiter bei gemeinnützigen Organisationen, Parteien oder Stiftungen. Die Anzeigen hatte der 27jährige nicht nur täglich aus den Tageszeitungen herausgefischt, sondern sich auch in den Job-Börsen im Internet gesucht.

Doch nach der 30. Absage wurde langsam das ersparte Geld, das er während des Studiums als Notgroschen zur Seite legen konnte, knapp. Und dann entschied Claudius Mahler, sich erst einmal einen anderen Job zu suchen. Irgendeinen Job, damit er wenigstens einigermaßen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Auch das war nicht so einfach: Nach einigen Wochen hörte er von einem Freund, daß die Post AG immer wieder Teilzeitkräfte suchte. Mit einer genauso sorgfältig geschriebenen Bewerbung stellte er sich im Personalbüro vor und hatte Glück. Der ehemalige Student bekam einen befristeten Vertrag und sortiert jetzt rund 20 Stunden in der Woche Briefe, Pakete und Päckchen. Für 19 Mark brutto die Stunde. Richtig glücklich ist Claudius Mahler mit seiner neuen Arbeit nicht. Aber das Geld reicht für Miete und Essen. Und das Wichtigste: „Ich habe immer noch genügend Zeit, mich um andere Jobs zu kümmern.“

Mahler ist kein Einzelfall. Akademiker brauchen immer länger, um sich dauerhaft in einem festen Arbeitsverhältnis zu behaupten. Zwei bis drei Jahre sind dabei keine Seltenheit. „Es entstehen immer häufiger Patchwork-Karrieren“, sagt der Arbeitsmarktexperte Sigmar Gleiser: Teilzeitarbeit und befristete Verträge, Werkaufträge, die für ein paar Monate das Geld sichern, oder unbezahlte oder schlecht bezahlte Praktika, um wenigstens einen Einstieg zu finden. „Hochschulabsolventen müssen als Berufsanfänger davon ausgehen, daß sie sich zunehmend auf Arbeitsverhältnisse einstellen, die jenseits sicherer Verhältnisse liegen.“ Zum Beispiel als scheinbar Selbständige: Sie sind meist wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig, müssen aber ihre Aufträge auf eigenes Risiko abwickeln. Zum Beispiel als freier Texterfasser, als freier Mitarbeiter in Konstruktions- und Entwicklungsbüros, als Honorarkraft im Bildungs- und Medienbereich.

Doch konkrete Zahlen, wie viele Akademiker von diesem „Drehtüreffekt“, dem „Rein- Raus“ aus der Arbeitslosigkeit, betroffen sind, sind nur schwer auszumachen. Offiziell war im September 1996 in Berlin jeder 11. Arbeitslose Akademiker, das sind fast 25.000 Menschen. Doch die Grauzone, gerade bei den Berufsanfängern, ist viel höher: Um den Status Arbeitslosigkeit zu vermeiden, bleiben die frisch Diplomierten immer häufiger eingeschrieben und jobben weiterhin in studentischen Arbeitsverhältnissen, um keine Sozialversicherung zahlen zu müssen, oder gründen eigene Firmen oder Vereine, sagt Karl-Heinz Minks, Projektleiter im Bereich Absolventenforschung der Hochschul-Informations-Systems GmbH in Hannover.

Und weil Akademiker momentan auf dem Arbeitsmarkt nur mit dieser Flexibilität überleben können, haben Soziologen, Politologen und Germanisten dennoch ganz gute Chancen: Weil die „geistigen“ Akademiker im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern und Ingenieuren das Studium mehr als Bildung verstehen, sind sie für neue Berufsbilder wesentlich offener, hat Minks herausgefunden. Karrieremuster liefen nicht primär über das Gehalt: „Wichtiger ist es ihnen, zur Verantwortungs- oder Normgeberelite zu gehören.“

Das möchte auch Claudius Mahler. Sein Traumjob wäre es, als wissenschaftlicher Assistent im Abgeordnetenhaus zu arbeiten. Die Chancen dafür sind nach der Statistik gar nicht so schlecht: Nach einer Umfrage der Diplomjahrgänge 1987–1992 arbeiten die Mehrzahl der AbsolventInnen als wissenschaftliche MitarbeiterInnen in Organisationen, Vereinen und der Politik. Drei Viertel aller Befragten waren mit ihrer beruflichen Tätigkeit, doch nur 64 Prozent mit ihrer finanziellen Lage zufrieden. Julia Naumann