Eine positive Geste der Protestanten

Die Führung von Nordirlands Oranier-Orden sagt für heute geplante Paraden durch mehrheitlich von Katholiken bewohnte Gebiete ab. Die protestantische Basis wettert: „Verrat!“  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ein kollektives Aufatmen ging durch Nordirland, als der protestantische Oranier-Orden seine für heute geplanten Paraden durch katholische Wohnviertel absagte. Am protestantischen Nationalfeiertag, an dem vor 307 Jahren Wilhelm von Oranien den katholischen Jakob II. in der Schlacht am Boyne besiegte, wollten die nach Wilhelm benannten Oranier durch die Ormeau Road in Belfast, durch Newry, Derry und Armagh marschieren – alles katholische Gebiete. Die erstgenannten beiden Paraden finden nun gar nicht statt, die anderen beiden Aufmärsche sind in protestantische Viertel verlegt worden.

Die in der Nacht zu Freitag bekanntgegebenen Entscheidungen wurden nicht von den betreffenden Logen gefällt, sondern von der Führung des Ordens. Entsprechend wütend waren zum Teil die Reaktionen vor Ort. Vor der Ballynafeigh-Loge an der Ormeau Road, vor der sich in der Nacht eine Menschenmenge versammelt hatte, wurden Rufe wie „Verrat“ und „Ausverkauf“ laut. Sodann kam es zu einem Handgemenge mit Fernsehteams, wobei einige Kameras zu Bruch gingen.

An den nächtlichen Verhandlungen, die zur Absage der Märsche führten, hatten auch Polizeichef Ronnie Flanagan, der frühere Vorsitzende der Unionistischen Partei, James Molyneaux, sowie drei ehemalige protestantische Terroristen teilgenommen. Einer von ihnen, der zum Politiker gewendete David Ervine, sagte gestern, die Entscheidung sei „keine Niederlage, sondern ein Sieg des Oranierismus“.

Der Orden bekräftigte sein Recht, auf jeder öffentlichen Straße entlangmarschieren zu dürfen, und behielt es sich vor, die Paraden zu einem späteren Zeitpunkt abzuhalten. Die Oranier begründeten ihr Einlenken mit der „Gefahr für Leben und Eigentum, die durch ausgedehnte Unruhen“ heraufbeschworen worden wäre. Nach der Parade von Portadown, der die Polizei am vorigen Sonntag gewaltsam die katholische Garvaghy Road frei gemacht hatte, war es zu tagelangen Unruhen mit Schwerverletzten, einem Toten und Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe gekommen. Schuld daran, so behauptete der Oranier- Orden, seien die IRA und ihr politischer Flügel Sinn Féin, die den Protest gesteuert hätten.

Die Entscheidung des Ordens wurde fast überall mit Erleichterung aufgenommen. Die irische Regierung ließ verlauten: „Das ist eine positive Geste des Oranier- Ordens, und sie verdient unserer Meinung nach eine ebenso positive Antwort des nationalistischen Bevölkerungsteils.“ Die britische Nordirland-Ministerin Marjorie Mowlam stimmte zu: „Ich hoffe und erwarte, daß andere jetzt ähnliche Großzügigkeit und Flexibilität an den Tag legen.“ John Hume von den nordirischen Sozialdemokraten lobte den Orden für seine „staatsmännische Entscheidung“, und Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams betonte ihre Tragweite. Er fügte hinzu: „Schade, daß das nicht schon am vorigen Sonntag auf der Garvaghy Road geschehen ist.“

Aus Kreisen der protestantischen paramilitärischen Organisationen war zu hören, daß man mit der Absage der Paraden einverstanden sei. Lediglich von der Splittergruppe, der „Loyalist Volunteer Force“, seien ein paar Anschläge zu erwarten, hieß es. Doch ohne Unterstützung der anderen Organisationen dürfte die Wirkung gering bleiben.

Lediglich der rechte Unionisten-Pfaffe Ian Paisley wetterte gegen die Entscheidung des Oranier- Ordens: „Das ist Öl auf das Feuer der Opposition gegen die gesamte unionistische Gemeinschaft.“

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