ETA droht nach Entführung mit Mord

Wenn die spanische Regierung 400 Gefangene nicht ins Baskenland verlegt, soll das Opfer heute nachmittag erschossen werden. In ganz Spanien gehen Tausende auf die Straße  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Blankes, ohnmächtiges Entsetzen war den Zehntausenden Menschen ins Gesicht geschrieben, die gestern in ganz Spanien auf die Straße gingen. Schweigend forderten sie die Freilassung von Miguel Angel Blanco Garrido, der am Donnerstag nachmittag von der baskischen Separatistenorganisation ETA entführt wurde. Falls die Regierung in Madrid nicht bis heute 16 Uhr die über vierhundert auf ganz Spanien verteilten ETA- Gefangenen ins Baskenland verlegt, soll der 29jährige Wirtschaftskaufmann „hingerichtet“ werden, so ein anonymer Anrufer gegenüber der ETA-nahen Tageszeitung Egin. Blanco Garrido hat in der zynischen Logik der ETA einen Defekt, der seine Entführung und die Todesdrohung rechtfertigt – sein Parteibuch. Er sitzt für die konservative Partido Popular (PP), deren Chef José Maria Aznar Spanien regiert, im Gemeinderat seines Heimatortes Ermua in der Baskenprovinz Vizcaya.

„Ein kleines Licht, wie wir alle hier“, sagte einer seiner Gemeinderatskollegen völlig verstört, als er von der Entführung erfuhr. Die Lokalpolitiker aller Parteien, mit Ausnahme der ETA-nahen Herri Batasuna, riefen nur zwei Stunden nach Bekanntwerden der Entführung die Einwohner Ermuas auf die Straße. Die Demonstration, die größte, die das 20.000-Seelen- Städtchen je gesehen hatte, endete auf dem Platz vor dem Rathaus. An dessen Fassade wurde ein überdimensionales blaues Band angebracht. Das Zeichen der Proteste gegen Entführungen durch die ETA war in ganz Spanien erst vor zehn Tagen eingeholt worden, als die Separatistenorganisation einen entführten Unternehmer gegen Lösegeld freiließ, und die Guardia Civil den Gefängnisbeamten José Antonio Ortega Lara nach 532 Tage aus einem feuchten Kellerloch befreite. Für Innenminister Jaime Mayor Oreja ist die Entführung von Blanco Garrido „eine Racheaktion für den Erfolg der Fahnder im Fall Ortega Lara“. Der Gefängnisbeamte, auch PP- Mitglied, sollte ebenfalls nur gegen die Rückverlegung der Gefangenen freigelassen werden.

Es ist das dritte Mal, daß die ETA ein Ultimatum stellt. Schon 1981 und 1983 hatte die Gruppe Geiseln erschossen, nachdem ihre mit der Entführung verknüpften Forderungen nicht erfüllt worden waren. „Die Regierung läßt sich nicht erpressen“, verkündete Innenminister Mayor Oreja, als er von der erneuten Kraftprobe erfuhr. Alle demokratischen Parteien stimmen ihm zu und organisieren weitere Proteste. Heute um zwölf, nur vier Stunden vor Ablauf des Ultimatums, werden in Bilbao und Madrid zwei Großdemonstrationen beginnen, zu denen Hunderttausende erwartet werden.